Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
Erschöpfung recht lange geschlafen hatten, waren zwei Tage gefolgt, in denen Gyals Tränen auf sie herabgestürzt waren und den Wald bis auf den Boden durchnässt hatten. Manchmal ließen die Güsse nach, bis nur noch ein feiner Nieselregen fiel, doch meist schüttete es in Strömen, und über dem Blätterdach knallten zornige Donnerschläge.
Rebraals Schulter tat entsetzlich weh, und die zahlreichen Schnittwunden und Kratzer, die ihm zugefügt worden waren, als man ihn auf den Leichenhaufen geschleppt hatte, von dem Meru ihn wieder weggezerrt hatte, pulsierten im Gleichtakt. Sie hatten getan, was sie konnten – Legumia-Wurzelpaste für die tiefe Wunde vom Armbrustbolzen, Breiumschläge mit Färberwurzel für die Kratzer, Tränke aus Menispere, um das Fieber zu drücken. Er wusste jedoch, dass er trotzdem erkranken würde. Eigentlich sollte
er sich ausruhen, statt zu rennen, durch Flüsse zu waten und ins Blätterdach zu steigen, um verborgene Laufstege und Seile zur Überquerung der mächtigen Flüsse und Wasserfälle zu benutzen.
Seine Muskeln waren überanstrengt, sein Rücken brannte höllisch, sein Bewusstsein trübte sich hin und wieder, und er war manchmal verwirrt. Er hatte mehr als einmal die Rufe von Vögeln und Affen missverstanden, einmal war er in einen Ameisenhaufen gelaufen und ein anderes Mal einem Krokodil nur um Haaresbreite entkommen.
Doch trotz seiner eigenen Leiden galt seine größte Sorge Mercuun. Er war an etwas erkrankt, das Rebraal nicht verstand und für das es keine Heilung gab. Aus heiterem Himmel bekam er Anfälle und musste nach Luft schnappend liegen bleiben, im nächsten Augenblick wurde er wieder von einer manischen Energie getrieben, auch wenn Letzteres jetzt immer seltener vorkam. Meru hatte angenommen, es habe mit seinem Magen zu tun, und einen ordentlichen Vorrat von Bittereschenrinde gesammelt, aus der sie einen starken Tee brauten, doch es hatte nicht geholfen.
Zwischen Mercuuns Energieausbrüchen schwand seine Muskelkraft, er verfiel zusehends und verlor oft das Gleichgewicht, und am zweiten Morgen hörte Rebraal ihn husten, als wolle er alle seine inneren Organe ausspucken. Sein Freund konnte die blutige Gischt, die bei jedem Hustenstoß aus seinem Mund spritzte, nicht verbergen.
Später am Nachmittag hatten sie am Ufer des Ix an einer Stelle gerastet, wo sie vor Gyals Tränen geschützt waren, und zu Orra, dem Gott des irdischen Lebenssaftes, darum gebetet, dass die Krankheit, die Mercuun plagte,
rasch vorbei sein möge. Rebraal hatte ihn betrachtet, als sie unter den großen, breiten Wedeln einer jungen Palme eng beieinander saßen, und er hatte den Schatten des Todes im Gesicht seines Freundes bemerkt. Er schien von innen nach außen zu verfallen, und trotz ihres Wissens über Kräuter konnten sie kein Gegengift finden.
»Bist du sicher, dass dich nichts gebissen hat?«, bohrte Rebraal. Er lehnte sich an den Stamm der Palme und spürte schon wieder eine Schmerzwelle in den Beinen und im Hals.
»Ich bin sicher.« Mercuuns Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern, seine Kehle war wund vom Krampfhusten. Bei jedem Atemzug schauderte er.
»Hast du deine Haut überprüft? Wenn es keine Giftschlange war, könnte auch eine kurze Berührung eines Gelbrückenfrosches ausreichen.«
»Es ist kein Gift«, sagte Mercuun.
»Was ist es dann?« Rebraal wusste nicht mehr weiter.
»Ich habe keine Ahnung.« Mercuun schüttelte den Kopf und sah Rebraal an. Er hatte Angst, seine Augen verrieten es, und er begann vor Trauer und Furcht zu weinen, ehe er die Tränen unterdrücken konnte. »Shorth kommt. Ich kann es fühlen.«
»Du wirst nicht sterben, Meru.« Rebraal streckte eine Hand aus, die sein Freund nahm und drückte. »Wir sind vor Einbruch der Dämmerung im Dorf. Dort bekommst du Hilfe.«
Mercuun ließ den Kopf hängen und starrte den schlammigen Boden an. »Die Heiler wissen nichts, was nicht auch wir wissen.«
»Aber wenn nötig, können sie Magie einsetzen«, sagte Rebraal. Er drückte beruhigend Mercuuns Hand, bevor er
steifbeinig aufstand. »Komm schon. Noch einmal hochsteigen, und danach geht es nur noch bergab.«
Doch als er ins Blätterdach hinaufschaute und sah, dass sie hundert Fuß hoch klettern mussten, ließ seine Zuversicht nach. Er hatte Meru über kleine Wurzeln stolpern sehen, und er selbst konnte nur noch einen Arm benutzen. Die andere Hand war so gut wie nutzlos, weil er wegen der Schulterwunde nicht mehr zupacken konnte.
»Es ist so hoch«, sagte
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