Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
Und bringt nichts durcheinander. Ihr werdet gleich mein Haus sehen.«
Er nahm Rens Hand und führte sie durchs Dorf. Er war nicht sicher, was ihnen bevorstand, und die skeptischen Blicke der Dorfbewohner machten es nicht leichter. Es gab so viel mehr zu tun, als er angenommen hatte. Er seufzte. Eigentlich war es ein ganz einfacher Plan gewesen. Hierher kommen, ausgebildete Magier suchen und ein wohlwollendes Netzwerk schaffen, das sie unterstützte. Er hätte es gleich wissen sollen. Wenn der Rabe im Spiel war, dann war es niemals einfach.
Zwanzigstes Kapitel
»Warum wollt ihr euch nicht von Denser und Erienne helfen lassen?« Ilkar war kurz davor, die Geduld zu verlieren.
Er hatte den Raben zu seinem Haus gebracht, das noch fast so aussah wie damals, als er es verlassen hatte, und danach Kild’aar aufgesucht. Er wollte überall sein, nur nicht an einem Ort, der ihn an die Vergangenheit erinnerte. Seine Fragen, wie viele Dorfbewohner eigentlich erkrankt waren, wurden allerdings mit vagen Schätzungen beantwortet, und sein Angebot zu helfen stieß auf schroffe Ablehnung. Das Haus, zu dem sie gingen, war höchstens fünfzig Schritte entfernt, doch er hatte bereits dreimal diese Frage gestellt.
»Weil du zuerst verstehen musst«, sagte Kild’aar.
»Ich verstehe es jetzt schon«, erwiderte er. »In meinem Dorf sterben Menschen, und du willst zwei brillante Magier nicht versuchen lassen, ihnen zu helfen, weil du ein unverbesserliches Misstrauen gegen alle Nichtelfen hast. Ich glaube, so schlimm war es noch nicht, als ich von hier fortging.«
»Ilkar, du warst sehr lange fort. Und du warst die ganze Zeit mit Fremden zusammen. Du bist derjenige, der sich verändert hat, nicht wir. Sogar deine Haut ist heller geworden. Und wie wir es jetzt sehen, war unser Misstrauen gerechtfertigt.«
»Aber ihr braucht Hilfe.«
»Das kann warten«, fauchte Kild’aar. »Bei Gyals Tränen, Ilkar, du kommst, hundert Jahre nachdem du uns verlassen hast, in unser Dorf marschiert und erwartest, dass wir dich mit offenen Armen aufnehmen? Dich und deine balaianischen Freunde? Vielleicht fassen die Menschen da drüben schnell Vertrauen. Hier dagegen hat es, wie du genau weißt, unendlich viel Schaden angerichtet, den falschen Leuten zu vertrauen.«
Ilkar musste sich eingestehen, dass sie Recht hatte, auch wenn er es niemals offen zugegeben hätte. Sie hatten sich niemals sehr nahe gestanden. Um die Wahrheit zu sagen, hatte Ilkar niemandem hier jemals besonders nahe gestanden. Abgesehen von seinem Bruder, und selbst diese Bindung war inzwischen verloren. Verschüttet unter hundert Jahren der Trennung.
»Was ist mit meinen Eltern geschehen?«, fragte er.
Kild’aar blieb kurz stehen. »Sie sind in hohem Alter gestorben und wussten nicht, ob ihr Sohn noch lebte oder schon tot war. Ob er seine Gabe erfolgreich eingesetzt hatte oder im Mana-Bad untergegangen ist, oder in einem dieser lächerlichen Konflikte der Balaianer. Vielleicht sollte die Frage eher lauten, was aus dir geworden ist.«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Ilkar.
»Also eine, für die wir im Augenblick keine Zeit haben«, entschied Kild’aar und ging weiter durchs nasse Dorf. Der Regen ließ endlich etwas nach, zwischen den schweren Wolken rissen einige blaue Stellen auf.
»Was willst du mir zeigen?« Ilkar hatte Mühe mitzuhalten, nachdem sie plötzlich ihre Schritte beschleunigt hatte. Der nasse Boden war rutschig, er war nicht dran gewöhnt, und seine Reaktionen waren nach der langen Abwesenheit unbeholfen. Kild’aar bewegte sich dagegen, als liefe sie auf flachem, trockenem Stein.
Sie führte ihn zu einem Haus am Südrand des Dorfs. Auf der Veranda saß ein pechschwarz gekleideter Elf mit einem Gesicht, das zur Hälfte schwarz und zur Hälfte weiß bemalt war. Vor seinen Füßen lag ein Panther und leckte sich die Tatzen.
»Was, zum Teufel, ist hier los?«, fragte Ilkar. »Was tun die hier?«
»Sie warten auf Antworten«, erwiderte Kild’aar.
»Na gut«, sagte Ilkar. »Und was ist da drin?«
»Du wirst schon sehen.«
»Bei den Göttern, du regst mich auf, Kild’aar.«
»Bei irgendeinem bestimmten Gott? Oder nur bei dieser amorphen Gottheit, die immer von den Balaianern angerufen wird?«
»So langsam weiß ich, warum ich nicht früher zurückgekommen bin.«
Kild’aar stieß die Tür auf. »Du wirst dich gleich wieder heimisch fühlen, Ilkar. Der Raum auf der linken Seite.«
Sie ließ ihm den Vortritt. Das Zimmer wurde von stark duftenden
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