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Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege

Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege

Titel: Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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zu ihm.
    Ilkar selbst fühlte alles andere als Vertrauen. Der julatsanische Magier, der seine Heimat das letzte Mal gesehen hatte, bevor die Eltern der Rabenkrieger zur Welt gekommen waren, hatte diesen Augenblick im Geist immer wieder durchgespielt, seit sie in Herendeneth an Bord gegangen waren. In seinen Träumen hatte er lächelnde Gesichter und ausgebreitete Arme gesehen, als er über die Brücke zum Haus seiner Familie schritt – der verlorene Sohn, der endlich heimkehrt. Doch sobald er wach war, hatte er sich eingestehen müssen, dass Misstrauen das Lächeln überdecken würde, und dass die Elfen ihn und diejenigen, die er mitgebracht hatte, keineswegs mit offenen Armen empfangen würden.

    Etwas wie dies hatte er jedoch keinesfalls erwartet. Ihre Gesichter zeigten keine Verwirrung. Einige erkannte er wieder, andere waren zu jung. Sie waren auch nicht überrascht. Was er sehen konnte, waren Zorn und Furcht. Er betrachtete die Elfen, die direkt vor ihm standen, und sah Nachbarn und Angehörige seiner großen Familie. Einige waren stark gealtert, andere nicht. Von seinen nächsten Angehörigen, seinen Eltern und, weniger überraschend, von seinem Bruder, war weit und breit nichts zu sehen.
    Ilkar blickte hinter sich und bemerkte die Formation, die der Rabe eingenommen hatte. Es war natürlich unnötig, doch es gab ihm Sicherheit und Selbstvertrauen. Und mehr als alles andere bestätigte ihm dies, wer in Wirklichkeit seine Familie war. Sie stand hinter ihm, nicht vor ihm. Ren sah ihn etwas hilflos an. Er lächelte sie an und gab ihr zu verstehen, sie solle einfach bleiben, wo sie war. Dann nickte er Hirad zu und bedankte sich leise, ehe er sich wieder an die Dorfgemeinschaft wandte.
    Er formte mit beiden Armen einen weiten Bogen vor seinem Gesicht und verhakte die Zeigefinger, um das Blätterdach anzudeuten. Es war ein uralter Gruß, der von den meisten der etwa dreißig versammelten Dorfbewohner eher reflexartig als aus echter Freundschaft erwidert wurde.
    »Hallo, Kild’aar«, sagte Ilkar. Die Elfenfrau in mittleren Jahren war eine entfernte Verwandte väterlicherseits. Sie stand beinahe im Zentrum der Gruppe und hatte die Arme abweisend unter den Brüsten verschränkt. Das pechschwarze Haar war mit einem nassen Tuch bedeckt, und die leichte Kleidung klebte an ihrem schmalen Körper. Sie wirkte sehr müde, die schräg stehenden, ovalen Augen waren gerötet, und sie hatte tiefe Krähenfüße.
»Ich bin gekommen, weil ich Hilfe brauche. Dürfen meine Freunde und ich die Gastfreundschaft von Taanepol in Anspruch nehmen?«
    Ilkar war dankbar für die traditionelle Eröffnungsformel, die immer gehalten wurde, wenn ein Elf ein Dorf im Regenwald besuchte. Dabei wurde der Grund des Besuchs genannt, und wenn gewünscht auch die Bitte um Unterkunft vorgetragen. Kild’aar trat mit ernstem Gesicht vor.
    »Als Kind dieses Dorfs bist du willkommen, und ebenso das Kind der Drech, das bei dir ist«, sagte sie und nickte Ren zu. »Die Fremden müssen jedoch gehen. Jetzt sofort.«
    Ilkar erschrak über Kild’aars heftige Antwort.
    »Meine Bitte bezieht sich auf uns alle«, wandte Ilkar ein. »Auf Calaianer und Balaianer gleichermaßen. Julatsa steht kurz vor der Zerstörung. Das Herz ist vergraben, und es sind nicht mehr genügend Magier in Balaia, um es zu bergen, damit es wieder zu schlagen beginnt und das Kolleg wieder zum Leben erwacht. Welche Konsequenzen hätte es für die Elfen auf Calaius, wenn es zerstört würde? Bitte, lasst uns alle aus dem Regen herauskommen und reden.«
    »Die julatsanische Magie hat nichts mit denen zu tun, die neben dir stehen«, sagte Kild’aar.
    »Wenn du mich nicht anhörst, wirst du nie erfahren, wie sehr du dich irrst«, erklärte Ilkar. »Kild’aar, haben sich die Dinge denn in meiner Abwesenheit so sehr verändert, dass du die Hand der Freundschaft nicht mehr ausstrecken kannst?«
    »Das ist gut möglich«, entgegnete Kild’aar. »Hier ist ein großes Verbrechen verübt worden. Fremde tragen die Schuld. Und jetzt sucht die Krankheit das Dorf heim. Du
hast die angebundenen Fischerboote gesehen. Sie liegen dort, weil es nicht genug Leute gibt, um sie zu bemannen. Wer kann schon sagen, ob die Fremden nicht die Krankheit mitgebracht haben? Wer kann schon sagen, dass diejenigen, die bei dir stehen, nicht diejenigen unterstützen, die sich die Entweihung haben zuschulden kommen lassen?«
    Ilkar hob eine Hand. »Warte, warte. Das verstehe ich nicht.« Er sah Kild’aar an und betrachtete

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