Die Legenden des Raben 02 - Elfenjagd
den immer neuen Herausforderungen. Und ihr Glaube an das, was sie am Leben hielt. Das Wissen, dass sie überleben würden, ganz egal, was kommen mochte. Das konnte man nicht in den Sack stecken und mitnehmen, das musste man erleben. Und Darrick hatte eine Menge mit den Rabenkriegern erlebt.
»Wie du meinst, Ilkar.«
Der Magier nickte. »Im Augenblick meine ich vor allem, du solltest still sein und mich arbeiten lassen.«
In diesem Moment, genau wie im Kampf, verstand Darrick den Raben. Sie waren keine Horde Waffen schwingender Machos. Sie waren eine Gruppe von Menschen, die sich immer wieder für ihre Gefährten aufopferten, weil sie dadurch insgesamt stärker wurden. Eigentlich war es ganz einfach.
In der folgenden Nacht schlief Darrick etwas ruhiger.
Eriennes Kopf pochte, es war ein zunehmendes, unablässiges Dröhnen, das kein Spruch lindern konnte. Außerdem verwandte sie ihre ganze Energie darauf, den Raben gesund zu halten. Es war schwer. Sie war erschöpft und hatte immer größere Mühe, sich zu konzentrieren, war am Ende ihrer Kräfte.
Die Schmerzen fühlten sich nicht wie eine Krankheit an. Sie wusste, was sie zu bedeuten hatten, und schon bald würde sie es nicht mehr verleugnen können. Es arbeitete in ihr, und sie hasste es. Sie liebte es. Jeder Pulsschlag weckte frische Erinnerungen an Lyanna. In den Tagen, nachdem sie das Dorf verlassen hatten, waren die Erinnerungen sogar ungewöhnlich klar geworden. Schöne Erinnerungen waren es, weil ihr Bewusstsein zunehmend die dunklen Momente verdrängte. Erienne glaubte beinahe, die Al-Drechar seien sowohl für die Schmerzen als auch für die Erinnerungen verantwortlich, auch wenn sie die alten Elfenfrauen nicht in ihrem Bewusstsein gespürt hatte.
»Wie geht es dir?«
Es war der Unbekannte, mit dem sie sich die erste Wache teilte. Sie hatte bereits etwas geschlafen, doch die
Kopfschmerzen hatten sie aus der Hängematte getrieben. Sie fand das Feuer tröstlich, und der Unbekannte, der neben ihr saß, war ein Symbol der Sicherheit.
»Ich werd’s überleben«, sagte sie.
»Ich habe gesehen, wie du zusammengezuckt bist«, wandte er ein. »Hast du Denser gesagt, wie groß deine Schmerzen sind?«
Erienne schüttelte den Kopf. »Ich habe ihm schon genug aufgehalst.«
Der Unbekannte kicherte. »Ich glaube, Denser könntest du nicht überlasten.«
»Du warst nicht dabei. Das Schlimmste hast du nicht gesehen.«
»Glaubst du denn, er würde es nicht verstehen, dir Vorwürfe machen oder so etwas?«
»Lyanna war auch seine Tochter«, flüsterte Erienne. Da war es wieder, das schreckliche Verlustgefühl, das ihre Seele in den Abgrund zog. Es würde niemals aufhören, aber wenigstens drohte es sie jetzt nicht mehr völlig zu übermannen.
»Erienne, du hast etwas Einzigartiges und sehr Tragisches erlebt. Füge nicht noch Schuldgefühle dem hinzu, was du sowieso schon ertragen musst.«
»Ich kann’s nicht ändern.« Erienne zuckte mit den Achseln.
»Aber du weißt, dass er dir alles verziehen hat. Er hat dir niemals Vorwürfe gemacht, und das gilt für uns alle.«
»Ich weiß.« Erienne betrachtete den Unbekannten im Feuerschein und erinnerte sich, wie überrascht sie gewesen war, als sie das Einfühlungsvermögen hinter dieser harten Schale entdeckt hatte. Manchmal konnten die Augen, die sie jetzt so mitfühlend anschauten, sehr kalt sein.
Dieser Mann war der stärkste und beste Kämpfer, den
sie je gesehen hatte. Nein, er war es gewesen. Nachdem seine Hüfte zertrümmert worden war, hatte er auf das Zweihandschwert verzichten müssen, mit dem er so gern gekämpft hatte, und darunter hatte auch seine Kampfkraft gelitten. Wenn sie jedoch die Muskulatur seiner Arme und Schultern sah, dann musste sie annehmen, dass es ihm gelungen war, den Mangel wieder auszugleichen. Es war leicht zu erkennen, warum seine Feinde ihn fürchteten, und ebenso leicht zu verstehen, warum sie selbst und alle anderen, die ihm lieb und teuer waren, diesem Mann rückhaltlos vertrauten.
»Ich habe euch alle gehasst, weil ihr mich gezwungen habt, hierher zu gehen. Fort von Lyanna.«
Wieder ein Kichern. »Aber wir hatten doch Recht, oder?«
»Ich weiß nicht«, antwortete sie. »Die Sehnsucht nach ihr kann ich nicht abstreifen. Ich will es auch nicht.«
Sie hielt inne und sah sich im stillen Lager um – Denser, Hirad und Ilkar, die in Hängematten über den wimmelnden Bewohnern des Waldbodens schliefen –, und nicht zum ersten Mal wurde ihr klar, wie viel es ihr bedeutete,
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