Die Legenden des Raben 02 - Elfenjagd
stand auf und wandte sich an den Unbekannten.
»Was sollen wir jetzt tun, Unbekannter?«
»Alles, was wir versprochen haben. Das Herz von Julatsa bergen, die Protektoren befreien und die Kaan nach Hause schicken. Das wollte er so sehr wie jeder andere von uns.« Der Unbekannte legte Hirad die blutigen Hände auf die Schultern. »Komm schon, hör auf zu weinen. Du weißt doch, dass er dich nur ausgelacht hätte.«
Hirad stotterte irgendetwas und rieb sich mit den blutigen Händen die Augen. »Ja, er hätte mich ausgelacht. Ich sag dir was, Unbekannter, ich bin völlig im Eimer. Ich könnte auch einen Verband brauchen.«
»Das klingt schon besser.«
Avesh konnte sich nicht bewegen. Er atmete nur noch flach, roter Schaum stand vor seinem Mund. Er lag auf dem Rücken, und aus der Wunde in seiner Seite strömte das Blut, das unter ihm schon eine Lache gebildet hatte. Während ringsum der Kampf weitergegangen war, hatte er den Himmel angestarrt und die Rauchwolken beobachtet,
die über den blauen Morgenhimmel gezogen waren. Es versprach ein sehr schöner Tag zu werden. Er hätte ihn so gern mit Ellin gemeinsam verbracht.
Zwei waren in der Nähe. Sehen konnte er sie nicht, aber er hörte sie reden.
»Das ist alles so verkehrt, Unbekannter«, sagte einer. Avesh erkannte ihn. Hirad Coldheart. Ein Kämpfer des Raben, den er sehr bewunderte. Allerdings war er enttäuscht gewesen, als er gesehen hatte, dass die Rabenkrieger gegen die Schwarzen Schwingen kämpften. Gerade sie hätten doch das Licht sehen müssen. Den Weg der Gerechten, wie Selik ihn genannt hatte. Andererseits hatte eine von ihnen das Kind zur Welt gebracht, das alles in Gang gesetzt hatte, also war es vielleicht doch nicht so überraschend. Vor allem war es verwirrend. Er konnte nicht mehr klar denken.
»Ich weiß«, erwiderte der andere. Es war der Unbekannte Krieger, ein Riese – in den Legenden wie im richtigen Leben.
»Schau sie dir an. All die toten Bauern. Warum mussten wir gegen sie kämpfen? Was ist nur mit ihnen allen geschehen?«
»Selik ist sehr überzeugend«, sagte der Unbekannte.
»Er war es«, erwiderte Hirad. »Sein Kopf, der auf dem Boden herumrollt – das ist die einzige gute Erinnerung, die ich an ihn habe.«
Avesh musste husten, und eine Woge von Schmerz fuhr durch seinen ganzen Körper. Er wand sich.
»Bei den Göttern, da lebt noch einer«, rief Hirad.
Avesh hörte rasche Schritte, dann beugte sich der Barbar über ihn. Eine Hand tastete seinen Hals ab.
»Das ist keiner von den Schwarzen Schwingen«, sagte Hirad. »Können wir ihn retten?«
Die Hoffnung ließ Aveshs Herz schneller schlagen, und sein geschundener Leib zitterte vor Schmerzen.
»Nein«, erwiderte der Unbekannte, der am Rande seines Gesichtsfeldes auftauchte. »Sieh dir nur die Wunde an. Ich staune, dass er überhaupt noch lebt.«
Hirad kniete neben Avesh nieder und strich ihm sanft über das Haar. Avesh wollte etwas sagen, spuckte aber doch wieder nur Blut auf die nasse Erde, auf der er lag.
»Still«, sagte Hirad. »Nicht reden. Bleib still liegen.«
»Komm, Hirad«, sagte der Unbekannte Krieger.
»Nein«, widersprach der Barbar. »Das Mindeste, was wir tun können, ist, bei ihm zu bleiben. Es wird nicht lange dauern.« Wieder tauchte der Barbar in seinem Gesichtsfeld auf und blickte stirnrunzelnd auf ihn hinab. In seinen Augen lag ein Kummer, den er kaum beherrschen konnte. »Warum hast du das getan?«, fragte er. »Du hast gegen die Leute gekämpft, die dir helfen wollten. Wenn die Magie stirbt, dann stirbt das Land. Verstehst du das nicht? Wir wollen nur, dass Balaia wieder in Frieden lebt und über eine Magie verfügt, die dem Wohl aller Menschen dient. Hat sich in so wenigen Jahren wirklich so viel geändert? Ist dein Gedächtnis wirklich so kurz?«
Avesh öffnete den Mund, doch die Worte wollten nicht herauskommen.
»Es tut mir Leid, dass du solche Schmerzen hast, aber ich konnte mich nicht von dir aufhalten lassen«, fuhr Hirad fort. »Du bist ein Narr, weißt du das? Getäuscht von einem Irren.«
Avesh hatte Tränen in den Augen. Er nickte. Endlich verstand er es. Es war alles so einfach. Wenn doch nur der Rabe ins Lager geritten wäre, und nicht die Schwarzen Schwingen, dann wäre er noch bei Ellin. Ellin. Es tut mir so Leid. Bitte verzeih mir.
»Du bist ein guter Mann«, sagte Hirad. »Ich sehe es in deinen Augen. Hoffentlich hast du jemanden, der auf dich wartet.«
Lächelnd nickte Avesh noch einmal. Atyo. Er würde Atyo
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