Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz
durch die
balaianische Bevölkerung nicht erwähnt. Es wäre sinnlos gewesen. Glücklicherweise war der Mann, zu dem er gebracht wurde, weitaus klüger.
Lord Tessaya war seit drei Jahrhunderten der erste Anführer der Wesmen, dem es gelungen war, die Stämme zu einen. Zuerst war es unter dem Banner der Wytchlords geschehen, und Furcht ebenso wie Achtung hatte die Wesmen bewogen, sich einem gemeinsamen Ziel zu verschreiben. Beinahe hätten sie sogar Erfolg gehabt, und ihr Scheitern war allein dem gemeinsamen Bemühen aller Kollegien, ihrer Magie und dem außerordentlichen Einschreiten des Raben zu verdanken.
Tessayas wahrer Einfluss hatte sich aber erst gezeigt, als er es geschafft hatte, auch nach der Niederlage die Einheit der Stämme zu erhalten. Er war immer noch der Anführer und verkörperte nach wie vor ihre größte Hoffnung auf einen Sieg. Und er war der einzige Mann im ganzen Volk der Wesmen, mit dem zu reden sich lohnte. Man durfte ihn nicht unterschätzen, und deshalb hatte Selik auch geplant, sich mit ihm zu verbünden.
Sie waren den ganzen Tag bis in den Abend gereist und hatten im öden, leeren Land eine recht große Strecke zurückgelegt. Endlos ging es hügelauf und hügelab, doch Devun war immer noch nicht zufrieden. Eine rasche überschlägige Schätzung der Entfernung zwischen dem Kernland der Wesmen und dem Understone-Pass ergab, dass sie mindestens noch drei Tage reiten mussten, ehe sie Tessaya treffen würden.
Mit einiger Überraschung sahen sie am späten Abend einen roten Schein hinter einem Hügel, der sich aus der Nähe als Lager entpuppte, das dem Geruch nach von einem Ring aus Dungfeuern umgeben und zusätzlich mit Kohlenpfannen beleuchtet war. Im Zentrum war ein Prunkzelt aufgeschlagen,
ringsum stand an Lagerfeuern ein Dutzend kleinere Rundzelte in Gruppen von jeweils zweien oder dreien. Auf allen Zelten wehten Banner.
Als sie näher kamen, konnte Devun erkennen, dass die Banner identisch waren. Sie zeigten den Bärenkopf und die Krallen der Paleon-Stämme. Fünfzig Schritte vor dem beleuchteten Bereich hielt Riasu im Schatten an.
»Steigt ab«, sagte er. »Niemand darf sich Lord Tessaya auf einem erhöhten Sitz nähern.«
»Was?«, platzte Devun heraus. Riasu sah ihn schräg an und verlangte wortlos eine Erklärung. »Tessaya ist hier?« ergänzte Devun.
Irgendein Militärlager, das konnte er noch verstehen, aber dass der Anführer der Wesmen in der Zwischenzeit bereits hierher gereist war, das war undenkbar. Riasu nickte nur. Devun befahl seinen Männern abzusteigen, während seine Gedanken rasten. Er ging um sein Pferd herum.
»Warum ist er hier? Lebt er denn hier?«
»Nein«, antwortete Riasu, und wieder trat das Funkeln in seine Augen. »Er lebt im Kernland.«
»Aber er ist hier und will mit mir sprechen?«
Wieder ein Nicken. »Ja.«
»Aber wie kann er schon hier sein?« Devun deutete zum Lager. »Ich meine, wie schnell war Euer Reiter?«
»Der Reiter gab Befehl, das Lager zu bauen« sagte Riasu.
»Aber … ist Tessaya geflogen, oder wie hat er das sonst geschafft?«
»Pferd«, erklärte Riasu. Er lachte. »Ihr haltet uns für Wilde. Aber die unter uns, die vom Geist berührt wurden, sind den Göttern näher, als Ihr es je sein werdet.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Devun.
»Nein«, stimmte Riasu zu. »Ihr seid kein Wesmen-Krieger.«
Devun hätte zu gern gewusst, wie diese Kommunikation vor sich gegangen war. Ob ein Vogel schnell genug fliegen konnte? Vermutlich. Ihm war bekannt, dass die Wesmen Vögel einsetzten, doch die Entfernung war groß, und die Methode unzuverlässig. Im Übrigen war völlig klar, dass Riasu sich darin gefiel, das Rätsel vorerst noch nicht aufzulösen.
»Was geschieht jetzt?«, fragte er.
Riasu lächelte über seinen neuerlichen kleinen Triumph. »Eure Männer werden hier bei meinen Kriegern bleiben. Sie dürfen nicht tiefer in unser Land vordringen. Ihr kommt mit mir.«
»Sir?«, fragte Devuns Stellvertreter, der den Wortwechsel verfolgt hatte.
»Wir werden genau das tun, was er sagt. Bleibt ruhig und haltet euch zurück, dann wird euch nichts passieren. Lasst euch nicht provozieren.« Devun deutete auf die leeren Schwertgürtel; ihre Waffen hatten sie am Pass zurückgelassen. »Vergesst nicht, in welcher Lage ihr seid.«
»Ja, Sir.«
Devun wandte sich wieder an Riasu und zog den Mantel eng um sich. Auf einmal kam ihm der Abend empfindlich kalt vor.
»Dann führt mich zu ihm«, sagte er.
»Viel Glück«, wünschte ihm sein
Weitere Kostenlose Bücher