Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz
zuckte mit den Achseln. »Der Grund ist egal, aber wenn du nur einmal zögerst, dann bist du tot, und vielleicht sind wir dann alle tot. Wenn du da drin nicht völlig überzeugt bist, das Richtige zu tun, dann kommen wir nicht mehr heraus. Ich habe keine Lust, schon wieder einen Magier zu verlieren, verstehst du?«
Denser kicherte und klopfte Hirad auf die Schulter. »Ist ja schon gut. Mach dir meinetwegen keine Sorgen.«
»Ich muss mir Sorgen machen«, erwiderte Hirad. »Wie ich schon einmal sagte, das ist meine Aufgabe.«
Auf einmal richtete sich Thraun auf und starrte zu den Mauern. Der Unbekannte und Darrick wollten ihn festhalten und wieder hinabziehen, doch er war zu schnell und trat ein paar Schritte ins Gras hinaus. Er knurrte, schnüffelte, ging in die Hocke und kehrte zurück.
»Sie reden«, sagte er.
»Wer?«, fragte der Unbekannte.
»Hört.«
Es kam aus der Richtung der Mauern, doch nach links und rechts versetzt und nicht von der Stelle, wo die TaiGethen und die Magier der Al-Arynaar versammelt waren. Es war ein Geräusch, das sie schon einmal gehört hatten – allerdings tief im Regenwald. Es wurde lauter, wechselte zwischen tiefem Knurren und schrillem Heulen und Winseln. Die Panter der Krallenjäger meldeten sich zu Wort und stimmten mitten in Balaia ein gespenstisches Konzert an.
Es schien von den Wolken widerzuhallen, es schien durch jeden Busch verstärkt zu werden und baute sich vor den Mauern der Stadt auf. Es war schön und schrecklich zugleich, ein Trauergesang über das verlorene Land und die verlorene große Zeit, voller Verehrung. Es jagte Denser einen Schauer über den Rücken, und Eriennes Hand verkrampfte sich unwillkürlich auf seinem Knie.
Auch Hirad knurrte. »Müssen die uns das jetzt antun?«, übertönte er den Lärm. »Müssen die jetzt wirklich ankündigen, dass wir kommen? Damit auch ganz sicher alle auf uns warten, wenn wir hineingehen? Damit es auch ganz bestimmt ein schöner Kampf wird? Bei den brennenden Göttern, haben die denn keine Ahnung, wie man heimlich vorgeht?«
Rebraal erschien links neben ihm, um es ihnen zu erklären. »In der Stadt dröhnt der Gesang vor jeder Tür. Ich will dich etwas fragen: Würdest du jetzt mit dem Schwert in der Hand nach draußen stürmen – oder würdest du die Riegel vorlegen und nachsehen, ob alle Schlüssel herumgedreht sind? Die Krallenjäger tun etwas für dich. Sie lenken die Blicke von den Mauern ab. Jetzt rennt und hört nicht auf zu rennen, bis ihr die Hand auf den Stein legen könnt.«
Hirad verkniff sich eine Antwort und stand auf. »Ihr habt es gehört«, sagte der. »Der Rabe! Der Rabe, los jetzt!«
Die Rabenkrieger rannten in Kampfformation, der Unbekannte an der Spitze, Hirad und Darrick rechts neben ihm, Thraun auf der linken Seite und Erienne und Denser hinter den Kriegern. Vor ihnen lief Rebraal. Der Al-Arynaar schoss durch das hüfthohe Gras, als reichte es nur bis knapp über seine Knie. Die Rabenkrieger hatten etwas mehr Mühe und trampelten die elastischen Halme nieder.
Es war anstrengend, und außerdem liefen sie im Grunde sehenden Auges in den Tod. Dennoch war Denser beschwingt.
Die feuchte Luft strömte frisch und kühl in seine Lungen, die Regentropfen benetzten seine Stirn, ringsum rauschte das Gras, der Wind pfiff ihm um die Ohren, und er griff mit seinen Freunden zusammen an – das alles ließ sein Herz schneller schlagen. Er hätte vor Freude geschrien, wäre es nicht eine große Dummheit gewesen.
Keuchend und außer Atem erreichte er die relative Sicherheit der Mauern. Die letzte TaiGethen-Zelle kletterte gerade an den Seilen hoch, die oben am Überhang befestigt waren. Dann standen nur noch Rebraal, die Magier der Al-Arynaar und die Rabenkrieger unten.
»Heimlichkeit«, sagte Rebraal. »Wenn du gelernt hast, was Heimlichkeit bedeutet, Hirad Coldheart, dann darfst du unser Vorgehen infrage stellen. Den Spuren, die du im Gras hinterlassen hast, könnte ein Blinder folgen.«
Die Schreie der Krallenjäger verhallten allmählich, bis nur noch der Wind rauschte. Denser sah sich um und betrachtete die dunklen Bahnen, die sie durchs Gras gezogen hatten.
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, sagte Hirad. »Eure Krallenjäger haben ihnen ja deutlich genug erklärt, dass wir kommen.«
»Er hat recht«, sagte Darrick. »Wenn ihr Kommandant auch nur ein bisschen von Taktik versteht, dann werden sie heute ihre Pläne ändern. Das können wir nicht verhindern – wir mussten sie unter Druck
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