Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz
war, würden sie alle seinetwegen entdeckt werden.
Er hatte ein Messer in die Hand genommen und bedeutete Hirad, sich auf der rechten Seite umzusehen, während er die linke Flanke überwachte. Die Gefährten, die ihm folgten, hielten es genauso. Der Weg, dem sie durch das Zentrum der Macht von Xetesk folgten, wollte kein Ende nehmen. Jeder Schritt konnte das Verhängnis über sie bringen. Jeder Schritt konnte den Angriff derjenigen auslösen, die sie sicherlich bereits erwarteten.
Langsam schlich der Rabe um Dystrans Turm herum. Schritt für Schritt näherten sie sich ihrem Ziel, und mit jeder Handbreit verstärkte sich seine Hoffnung, dass sie es vielleicht doch noch ohne Zwischenfall erreichen konnten.
Schritte. Hallende Schritte. Die Richtung war schwer zu bestimmen, doch sie wurden lauter. Der Unbekannte ballte die Hände zu Fäusten. Der Rabe hielt an, die Al-Arynaar gleich danach. Rebraal spannte seinen Bogen. Hirad
deutete nach links zur anderen Seite des Turms. Der Unbekannte nickte, deutete auf beide Seiten des Turms und zuckte mit den Achseln. Hirad schüttelte den Kopf. Denser deutete nach links und zog die Augenbrauen hoch. »Vertraut mir«, hauchte er und wich auf dem gleichen Weg zurück, auf dem sie kommen waren. Im Augenblick waren sie von der Tür der Kuppel her zu sehen. Egal auf welchem Weg die Gegner um den Turm herumkamen, dies war ein schlechter Standort.
Die Schritte stammten von mehreren Menschen. Sie gingen rasch, die Geräusche kamen jetzt eindeutig aus dem Eingang des Turms. Der Unbekannte sah Rebraal an, der mit einem Nicken andeutete, dass er bereit sei. Jetzt konnten sie nur noch warten.
Männer betraten die Kuppel, und die Geräusche wurden deutlicher, als ein Vorhang zur Seite gezogen wurde. Die Schritte hallten laut auf dem Marmor, es waren an den Spitzen und Hacken mit Stahlbeschlägen verstärkte Stiefel, die allerdings nicht im Gleichschritt marschierten. Soldaten also. Immerhin.
Es waren zwei. Sie trugen ihre Waffenröcke und hatten die Helme unter den Arm geklemmt. Während sie zielstrebig zur Tür gingen, redeten sie miteinander. Offenbar hatten sie Meinungsverschiedenheiten. Der Unbekannte konnte sich an den Älteren erinnern; den Jüngeren, der aufgebracht redete, kannte er nicht. Er hob eine Hand und hielt Rebraals Pfeil fest. Der Rabe sah den Männern nach, als diese durch die Türen traten, die sich für sie geöffnet hatten. Die draußen postierten Wärter, schauten nicht herein, während sie die gut geölten und mit Gegengewichten versehenen Türen wieder schlossen.
»Soso«, flüsterte der Unbekannte. »Er lebt also noch.«
»Wer denn?«, fragte Hirad ebenso leise.
»Suarav«, erklärte der Unbekannte. »Er hat mich ausgebildet und muss inzwischen wohl der älteste Soldat der ganzen Truppe sein.«
»Der andere war Chandyr«, ergänzte Denser. »Die beiden haben zweifellos Dystran Bericht erstattet. Nun, werte Rabenkrieger, damit habt ihr die Verantwortlichen für die Verteidigung von Stadt und Kolleg kennen gelernt.«
»Ich hätte sie erwischt«, sagte Rebraal, der seine Bogensehne wieder entspannt hatte.
»Nicht beide auf einmal, und es wäre gefährlich gewesen«, sagte der Unbekannte. »Wir wollen hier nicht unnötig töten. Kommt jetzt, wir haben viel zu tun.«
Ranyl fand keine Ruhe. Direkt unter den Rippen und über seinem Magen war ein neuer Schmerz ausgebrochen, der ihn fürchten ließ, er könne wohl sehr bald schon nicht einmal mehr die dünnen Suppen zu sich nehmen, von denen er sich zurzeit ernährte.
Sein Hausgeist bat ihn, zur Magie zu greifen, um die Schmerzen zu lindern. Er hatte den Widerhall der Schmerzen in den Augen des Wesens gesehen, war aber immer noch entschlossen, sich nicht mit Sprüchen helfen zu lassen, die er nicht mehr selbst wirken konnte.
Da er sowieso nicht mehr schlafen konnte, hatte Ranyl sich auf dem bequemsten Stuhl niedergelassen, der ihn am besten stützen konnte. Sein Hausgeist hatte Holz aufs Feuer gelegt und sich wie eine Katze auf dem Bett zum Schlafen zusammengerollt. Er verkroch sich unter die Decke, um es warm zu haben. Auch seine Vitalität verfiel, während es mit seinem Meister langsam zu Ende ging.
Ranyl war klar, dass er nicht mehr viele Morgendämmerungen erleben würde, und darüber war er betrübt. Von seinem höchsten Balkon aus hatte er zur richtigen Jahreszeit
spektakuläre, feuerrote Sonnenaufgänge beobachten können. Doch der Herbst war unerreichbar fern.
Noch schlimmer, er würde vielleicht
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