Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz
Sieben einbringen. Diese Aussicht versetzte ihn in stärkere Aufregung, als es angemessen war, doch dagegen konnte er nichts tun. Schon vor zwei Tagen hatte er die ersten Bindeglieder in den Elfentexten bemerkt. Zwischen den teilweise übersetzten Passagen und den bisher noch nicht entzifferten Schriften schälte sich ein Muster heraus.
Dieses Aryn Hiil war viel mehr als nur eine Beschreibung der Geschichte und der Religion in der alten Elfensprache. Inzwischen war er sicher, dass Dystran und Ranyl dies von Anfang an vermutet hatten.
Seine anfänglichen Theorien waren durch unabhängige Forschungen eines Mitglieds seiner Arbeitsgruppe bestätigt
worden. Sie gingen von der jahrhundertealten Annahme aus, dass die Elfen auf natürliche Weise mit der Magie verbunden und von ihr abhängig waren, und zwar alle Elfen. Der Elfenfluch hatte dies bestätigt, doch er war aufgehoben worden, bevor er in Form eines Spruchs nachempfunden werden konnte.
Jetzt sah es ganz danach aus, als müsste man sich über diese verpasste Gelegenheit nicht mehr so grämen, denn wenn er recht hatte, und die magische Theorie sprach sehr dafür, dann gab es eine Möglichkeit, einen Elfen aus dem Mana-Strom herauszulösen und damit verwundbar zu machen. Die Elfen würden die neuen Marionetten von Xetesk werden. Vergesst die Protektoren, denn dies würde eine viel mächtigere Waffe werden. Und sie wäre letzten Endes erheblich ungefährlicher als ein Pakt mit den Dämonen.
Er wollte nicht ruhen, bis er die Antwort gefunden hatte. Schließlich würde Ranyl nicht mehr lange leben.
Gylac hörte, wie hinter ihm die Tür geöffnet wurde. Er legte den Federkiel auf sein Notizbuch und wollte sich umdrehen.
»Nun, habt Ihr …«
Was er sah, als er an der hohen Stuhllehne vorbeischaute, war unmöglich. Beinahe lächerlich. Er war nicht sicher, ob er lachen sollte oder nicht. Dann spürte er einen heißen, einen unglaublich heißen, stechenden Schmerz in der Kehle. Er wurde zurückgeworfen und prallte gegen die Tischkante. Er wollte nach der Ursache der Schmerzen greifen, und versuchte nach unten zu blicken. Ein Pfeil steckte in seinem Hals, das warme Blut spritzte auf seine Hände. In seinen Ohren rauschte es laut.
Lautlos wie Geister umringten sie ihn. Er wurde zur Seite gestoßen und hörte einen kurzen Ruf. Sie hatten das Aryn
Hiil. Seinen kostbarsten Besitz. Die Garantie für seinen Aufstieg zur Macht. Er packte einen von ihnen am Arm.
»Das könnt ihr nicht …«, gurgelte er.
Ein Gesicht starrte auf ihn herab, kalt und unbarmherzig. In den Augen lag ein Hass, der ihn schaudern ließ. Er hörte einige Worte.
»Shorth erwartet dich.«
Sein Griff erschlaffte.
Ranyl fehlte die Kraft, um sich ernstlich zu fürchten. Die Schmerzen im Magen waren stärker geworden, bis er kaum noch atmen konnte. Doch nicht einmal er konnte umhin, die Zähigkeit dieses schlimmsten Dorns im Fleische von Xetesk zu bewundern.
»Ihr seid hartnäckig, das muss ich Euch lassen«, sagte er. »Wir hatten angenommen, Ihr versteckt Euch irgendwo vor Lystern.«
»Es ist nicht unsere Art, uns zu verstecken«, erwiderte der Unbekannte Krieger. Ranyl nickte und drehte sich um. »Kommt doch alle herum, damit ich Euch sehen kann. Man hat ja wirklich nicht oft die gesamte Rabentruppe vor sich stehen.«
»Dies ist nicht die gesamte Rabentruppe. Ilkar ist Euretwegen gestorben.« Ranyl spürte kalten Stahl am Hals. »Versucht es gar nicht erst. Ihr seid nicht schnell genug.«
Ranyl kicherte. »Oh, Hirad, ich bin lange darüber hinaus, Sprüche zu wirken. Ich kann nicht einmal mehr die Konzentration aufbringen, meine Schmerzen zu betäuben.«
»Bei den Göttern, Hirad, nimm das Messer weg«, sagte Denser.
»Nein«, antwortete Hirad. »Ich gehe kein Risiko ein. Nicht hier.«
»Lord Ranyl, wir wollen Euch nichts antun …«
»Und ob wir das wollen …«
»Hirad!«, knurrte Denser.
»Er gehört zum Kreis der Sieben. Er trägt die Schuld an Ilkars Tod. Verschone ihn, wenn dir danach ist. Ich sehe das anders.«
»Wir hätten Euch in unsere Überlegungen einbeziehen sollen«, sagte Ranyl. »Den Raben darf man nicht übersehen, was?«
»Wie wahr.«
»Denser, ja, es tut mir leid. Was wollt Ihr?« Er tastete nach der Bindung zu seinem Hausgeist, doch sie war schwach. Der Dämon lag in tiefem Schlaf. Mit einem Impuls versuchte er, ihn zu wecken, und verfluchte seine schwindenden Fähigkeiten.
»Eure Dimensionsforschung – sagt uns, wo sie stattfindet«, verlangte Denser.
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