Die Legenden des Raben 04 - Zauberkrieg
beeindruckend genug, dass sie überhaupt am Tisch saß. Doch sie hatte schlechte Laune und war verschlossen, als müsste sie immer wieder Impulse zurückdrängen, die nicht ihre eigenen waren. Als könnte unversehens etwas aus ihr hervorbrechen, das sie nur mühsam zurückhielt.
Pheone war nicht sicher, ob auch die anderen bemerkten, was in Erienne tobte und wie viel Kraft sie aufwenden musste, um einfach nur sie selbst zu bleiben. Pheone sah es,
konnte Erienne aber wie alle anderen nicht helfen. Doch auch sie gab sich der irrationalen Hoffnung hin, sie würden letzten Endes siegen, wenn die Kämpfe erst einmal begonnen hatten.
Nach dem Frühstück ruhten die Elfen noch eine Weile, bevor sie am Nachmittag die Bergung des Herzens versuchen wollten. Pheone stieg unterdessen wie gewohnt auf die Mauern und traf dort auf Hirad, der nach Süden schaute. Er war nicht allein. Es war ein schöner Tag, und wer hinsehen wollte, konnte jenseits der Stadt die Staubwolke erkennen, in der sich die anrückenden Xeteskianer verbargen. Alle hofften inbrünstig, weitere Verbündete, namentlich Izack und Blackthorne, würden vor den Feinden eintreffen.
»Was glaubst du, wie weit sie noch entfernt sind?«, fragte Pheone, als sie neben ihm stand.
Er drehte sich lächelnd um. »Das ist schwer zu sagen. Einen halben Tag, vielleicht ein wenig mehr. Wie Rebraal sagte, werden sie vor der Abenddämmerung eintreffen. Ich nehme an, sie werden den Rest des Tages lagern und uns zur Kapitulation auffordern, um im Morgengrauen anzugreifen. Unterdessen werden sie aber bereits Meuchelmörder und Hausgeister schicken, wenn es ihnen möglich ist.«
»Das ist kein erfreuliches Bild.«
»Nein«, stimmte er zu. »Aber wir müssen wissen, womit wir es zu tun bekommen. Es hätte ja doch keinen Sinn, sich zu verkriechen, oder?«
»Ich denke nicht.«
Es gab ein langes Schweigen. Die Mauern des Kollegs waren zwar höher als die meisten Gebäude in Julatsa, doch die Verteidiger konnten wegen der Hügel vor der Stadt das Gelände nicht vollständig überblicken. Wenn und falls Izack auftauchte, würden sie keine große Vorwarnzeit bekommen.
»Pheone, es tut mir leid wegen gestern Abend. Es war ein langer Tag.«
Es war eine Entschuldigung, die sie nicht erwartet hatte. Sie bemühte sich, Entgegenkommen zu zeigen.
»Ist schon gut«, sagte sie. »Jeder fährt einmal aus der Haut.«
Hirad schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es eigentlich nicht.« Er hielt inne. »Ich vermisse Ilkar. Mit jedem Tag, an dem ich seine Stimme nicht höre, wächst meine Wut, und die lässt mich nicht los. Es ist komisch. Als ich ihn einmal jahrelang nicht gesehen hatte, spielte es keine Rolle, weil ich wusste, dass es ihm gut ging. Jetzt ist er tot, und ich habe das Gefühl, diese Zeit vergeudet zu haben.«
Pheone fand nicht die richtigen Worte, um darauf zu antworten, und so nickte sie nur und war ein wenig verlegen, weil dieser Mann, der so kompromisslos und hart wirkte und der so viele Menschen hatte sterben sehen, auf einmal auf diese Weise mit ihr sprach.
»Er ist der Grund dafür, dass ich hier bin«, fuhr Hirad fort. »Ilkar wollte, dass wir kommen und bei der Bergung des Herzens helfen, aber jetzt ist er fort. Das kann ich nicht mehr ändern. Ich kann jedoch diese Bastarde schlagen, die jetzt herkommen. Sie tragen die ganze Schuld.«
Die Wärme und Trauer in seiner Stimme waren der Kälte gewichen. Pheone zog sich ein wenig zurück und überlegte fieberhaft, wie sie das Thema wechseln konnte.
»Wir werden es tun. Das Herz bergen, meine ich. Selbst wenn wir nichts mehr davon haben werden, es wird im Gedenken an Ilkar geschehen, nicht wahr?«
»Ihr werdet etwas davon haben«, widersprach Hirad. Jetzt drehte er sich ganz zu ihr herum, starrte sie mit brennenden Augen an und entließ sie nicht aus seinem Blick. »Weil wir nicht verlieren werden.«
»Ich weiß«, sagte Pheone und hoffte, ihre Antwort klänge so überzeugend wie seine Worte.
»Das will ich hoffen, denn der Glaube ist alles.«
Hirad besaß nicht das Charisma des Unbekannten Kriegers, doch sein Herz war stolz und groß. Kein Wunder, dass Ilkar ihn immer als den Mann beschrieben hatte, der dem Raben das Leben einhauchte. Jetzt verstand sie ganz und gar, was Ilkar gemeint hatte.
»Wo ist Sha-Kaan?«
Hirad kicherte, seine Augen verloren die Härte, und sein Gesichtsausdruck wurde wieder weicher. »Ja, er sagte mir schon, das ihr euch gestern kennen gelernt habt. Du brauchst keine Angst vor ihm zu
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