Die Legenden des Raben 06 - Heldensturz
den rechten Arm gelegt hatte, zitterte heftig. »Frierst du immer noch?«
»Nein, Hirad«, schnaubte Erienne. »Ich habe gekichert. Ilkar wäre stolz auf diese Bemerkung gewesen. Erinnerst
du dich noch an die Felle, die du früher getragen hast?«
Hirad nickte. »Die haben besonders schön geduftet.«
Der Rabe lachte.
»Also gut«, sagte der Unbekannte. »Jetzt mal im Ernst. Wir müssen mehrere Dinge tun. Hirad, du musst mit Sha-Kaan Verbindung aufnehmen und ihn so schnell wie möglich hierher holen. Eilaan soll uns Gewissheit verschaffen, dass das Mana so hoch konzentriert ist, wie wir glauben. Denser, tu was du kannst, um die Höhle ein wenig zu wärmen. Wenn schon, dann können wir es uns auch gemütlich machen. Thraun, Ark, kümmert euch um das Essen. Erienne, schlafe etwas, sobald es wärmer wird. Wir werden dich brauchen.«
Sie blickte zu ihm hoch, und all ihre Zweifel standen ihr ins Gesicht geschrieben. »Hoffentlich enttäusche ich euch nicht.«
»Kommt nicht infrage«, sagte der Unbekannte. »Jetzt hört mal alle zu: Wir hatten bis jetzt anscheinend Glück, aber wenn eines die Dämonen ganz sicher anlockt, dann ist es ein Spruch. Ich halte es allerdings nicht für nachteilig, wenn sie wissen, dass wir hier sind. Ein Kraftkegel müsste sie draußen halten, bis die Drachen kommen. Wenn einer von euch Darm und Blase entleeren will, sollte er es jetzt sofort tun. Wir wissen nicht, wie lange wir anschließend noch warten müssen. Denser wird abwarten, bis ihr zurück seid. Gibt es sonst noch Vorschläge?«
Niemand ergriff das Wort.
»Gut, dann wollen wir uns an die Arbeit machen.«
Sie verteilten sich, und sofort war die schneidende Kälte wieder da. Der Unbekannte lehnte sich an die Wand und winkte Erienne zu sich. Er streckte die Arme aus, und sie ließ sich dankbar umfangen.
»Bei den fallenden Göttern, ich hoffe nur, die brauchen nicht zu lange zum Pinkeln«, sagte sie.
»Musst du nicht auch raus?«
»Es ist zu kalt da draußen«, sagte sie und kuschelte sich eng an ihn. »Nur gut, dass mein Mann nicht eifersüchtig ist.«
»Woher weißt du, dass er es nicht ist?«, rief Denser von draußen herein.
»Das ist eben mein Eindruck.«
»Verstehe.« Denser knöpfte seine Hose wieder zu und kam herein. »Wie praktisch, dass der Unbekannte alle an die Arbeit scheucht, damit er Zeit hat, dich anzubaggern.«
»Alles hat seine Vor- und Nachteile.«
Denser kicherte. »Ich kümmere mich um den Spruch. Macht es euch nur gemütlich, ihr braucht mir auch nicht zu helfen.«
»Keine Sorge, das tun wir nicht«, versprach Erienne.
Der Unbekannte sah zu, wie Denser draußen Steine einsammelte und mitten in der Höhle aufschichtete. Dabei achtete er genau auf die Formen und Umrisse und ihre Anordnung.
»Wichtig ist, dass sie die Hitze des Spruchs möglichst wirkungsvoll reflektieren«, erklärte Erienne. »Das Mana wirkt besser, wenn die Steine geschickt aufgestellt werden. Dadurch hält sich auch die Wärme länger.«
»Ich verstehe.« Er hielt inne. »Wie fühlst du dich?«
»Mir wird allmählich wärmer.«
»Das meinte ich nicht.«
»Ich weiß.« Sie seufzte. »Hör mal, Unbekannter, ich weiß, dass ich es tun kann. Im Schauspielhaus hatte ich keinerlei Zweifel. Aber sieh nur, wie viele wir waren, und wie wenig Dämonen es dort im Vergleich waren. Wir konnten uns einen Fehler erlauben, und gerade deshalb
habe ich keinen gemacht. Jetzt ist das Risiko viel größer. Ein Fehler, und nicht nur wir, sondern buchstäblich alles ist im Eimer. Das ist eine große Belastung.«
»Ich verstehe. Hör mal, wenn es dir hilft, wir haben alle Angst davor, zu versagen und die anderen im Stich zu lassen. Aber so war das schon immer, oder nicht? Vereint vermag der Rabe zu tun, was getan werden muss, und zwar ganz egal, wie sich jeder Einzelne fühlt. Nutze unsere Stärke.«
»Ich will es versuchen. Danke. Hm, irgendwie kann ich mir gar nicht vorstellen, dass Hirad Angst hat.« Sie blickten zu ihm hinüber, der versunken dasaß, die Hände in den Schoß gelegt, und versuchte, mit seinem Drachen Kontakt aufzunehmen. »Und du …« Erienne brach ab und ließ die Schultern hängen. »Oh Unbekannter, du arme Seele.«
Der Unbekannte verstand, was sie meinte. Er lächelte grimmig, trat unsicher von einem Fuß auf den anderen und schluckte schwer. »Jeder musste ein Opfer bringen.«
»Aber du bist der Einzige, auf den eine Familie wartet.«
»Diera ahnt, dass ich dieses Mal wahrscheinlich nicht zurückkehre.«
»Und
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