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Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)

Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)

Titel: Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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gespenstisch die Fackeln spiegelten, die entlang des Wehrgangs über unseren Köpfen in Haltern steckten.
    »Was ist das?«, fragte Sophos.
    »Das ist die Seperchia«, sagte der Magus. »Erinnere dich, dass diese Festung mitten im Fluss steht und die Brücke nach beiden Seiten verteidigt.«
    »Ich meine, was ist das hier?«, sagte Sophos und stampfte mit dem Fuß auf den Stein unter ihm.
    »Das ist ein Sims, der um die ganze Burg herumführt«, erklärte ich, »so dass die Grundmauern instandgehalten werden können. Wir werden ihm bis zur Brücke in die Stadt folgen. Sprecht leise! Es gibt Wachen.«
    »Warum ist hier eine Tür?«
    Ich überließ es dem Magus zu antworten.
    »Hier werden Leichen entsorgt, indem man sie in den Fluss wirft.«
    »Oh.«
    »Manchmal verkaufen die Wachen einen Leichnam an die Angehörigen zurück, wenn sie hier in einem Boot warten«, sagte er.
    Sophos hielt endlich den Mund, während wir im Krebsgang um die Burg herumkrochen. Der Mond schien nicht. Ich konnte nicht einmal die Hand vor Augen sehen; so ließ ich sie an der Burgmauer ruhen und tastete mich mit dem vorderen Fuß voran, um sicherzugehen, dass immer fester Boden unter mir war. Der Magus stellte sich zwischen Sophos und mich und achtete darauf, mich nicht anzurempeln. Wir schlichen um eine Ecke, dann um eine weitere. Es brannten keine Fackeln auf der Brücke, und wenn Wachen Ausschau hielten, so waren sie in den Türmen postiert, nicht auf der Brücke selbst. Wir schlichen hinüber.
    Durch die Stadt zu gelangen erwies sich als schwieriger, als die Burg zu verlassen. Ohne den Mond mussten wir uns vorsichtig vorantasten, und es war schwierig für mich, die anderen auf den Weg zu führen, den ich gehen wollte. Die Feuer in den Häusern waren schon vor Stunden mit Asche bedeckt worden, und es fiel kein Lichtschein, der uns hätte helfen können, durch die Fenster. Hier und da bellten Hunde, wenn wir vorbeikamen, aber kein Wächter erschien, um nach ihnen zu sehen. Die Straße, die von der Burg ausging, führte vom Fluss weg. Wir verließen sie in der Hoffnung, zum Wasser zurückgelangen zu können, und verirrten uns in den engen Gassen. Zweimal lief ich beinahe geradewegs gegen die unsichtbaren Wände von Häusern, bevor wir endlich eine andere Straße erreichten, die am Flussufer entlang an einer Brücke vorbeiführte.
    »Wir bleiben auf dieser Seite«, sagte ich, und der Magus widersprach nicht. Wir bewegten uns sehr langsam an den dunklen Häusern vorbei. Ich war ohne den Mondschein zufriedener, da ich mir keine Gedanken darum machen musste, ungesehen zu bleiben, und da wir so langsam vorankamen, hatte ich bei jedem Schritt Zeit, meine Schulter zu schonen.
    »Gen«, fragte der Magus, »wie geht es dir?«
    »Ganz gut«, antwortete ich, selbst ein wenig erstaunt darüber, wie leistungsfähig ich mich fühlte. Ich war schwach, aber klar im Kopf. Meine Schulter schmerzte, doch nur wie von ferne. Der Schmerz wurde lediglich heftig, wenn ich stolperte, und ich stolperte nicht oft. Ich fühlte mich, als ob ich ganz sanft die Straße entlangschwebte, getragen von einer unsichtbaren Wolke. Die Nacht ringsum war von den üblichen Geräuschen der Insekten und springenden Fische erfüllt; in der Ferne heulten Hunde, aber wir schienen von einer Blase der Stille umgeben zu sein.
    Schließlich ging der Mond auf, und wir kamen leichter voran, aber der Magus versuchte nicht, mich zur Eile anzutreiben. Er und Sophos waren beide geduldig, allerdings wollte Sophos unbedingt die ganze Zeit im Gehen plaudern. Ich begriff, dass er sich fürchtete und dass das Reden ihm half, aber ich musste all meine Energie auf meine Füße konzentrieren. Der Magus redete mit ihm. Wir blieben bis unmittelbar vor der Morgendämmerung in Bewegung.
    Wir waren nicht viele Meilen von der Stadt entfernt, aber die Straße, der wir folgten, stieß auf eine Anhöhe und bog ins Landesinnere ab. Um am Fluss zu bleiben, mussten wir einem schmaleren Pfad folgen, der durch die Felsen am Flussufer emporführte. Wir machten Halt, um zu rasten. Ich lehnte mich gegen einen Geröllhaufen und glitt daran zu Boden. Ich steckte Sophos’ Tunika, die glücklicherweise lang war, unter mir fest und schlief eine Weile. Als ich die Augen wieder aufschlug, war es hell genug, um die Farben der Welt zu sehen. Die Tunika des Magus war um meine Füße geschlungen, der Magus selbst verschwunden.
    Ich riss den Kopf herum, um nach ihm Ausschau zu halten, und wünschte mir, ich hätte es nicht getan.

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