Die Leibwächterin (German Edition)
war ich allein im Dunkel.
Bald tauchten Lichtflecken auf. Ich sah erleuchtete Fenster und Gartenlampen. Allem Anschein nach war das Grundstück nicht umzäunt. Vorsichtig blieb ich stehen, um festzustellen, wie weit der Lichtkreis reichte. Es bestand die Möglichkeit, dass die Gartenlampen mit Bewegungsmeldern versehen waren, in deren Bereich ich geraten konnte, ohne es zu merken. Ich rechnete die ganze Zeit damit, das Knurren eines Hundes zu hören und von einer Bestie mit scharfen Zähnen angesprungen zu werden, aber Hundehütten und Laufketten waren nirgendwo zu sehen.
Es gelang mir, das Haus von hinten zu umgehen, ohne Alarm auszulösen. An den Fenstern hingen keine Gardinen, ab und zu tauchten dahinter Gestalten auf, die ich nicht erkennen konnte. Ich ging zum Gästehaus, das dunkel war, sprang aber hastig zurück, als rund um mich ein Lichtkreis aufflammte. Hier funktionierte die Überwachung. Das Licht reichte bis ans Ufer und zur Sauna, aus deren Schornstein Rauch aufstieg. Die Garagentore waren verschlossen. Noch einmal rief ich Helena an, ohne Erfolg. Ich hätte viel darum gegeben, ihre Stimme zu hören und die Gewissheit zu haben, dass sie noch lebte.
Ich ging erneut hinter das Haus und überlegte, wie ich hereinkommen könnte. Es wäre doch besser gewesen, in Reiskas Gestalt loszuziehen. Vielleicht hätte ich Paskewitschs Leute so eine Zeitlang bluffen können. Walentin selbst und wahrscheinlich auch seine Killer würden mich in meiner jetzigen Erscheinung erkennen. Sie hatten zuerst Anita und später Helena beschattet und in beiden Fällen zugeschlagen, sobald die Leibwächterin ihre Pflichten vernachlässigt hatte. Welches Recht hatte ich da noch, an meine eigene Sicherheit zu denken? Ich musste jetzt einfach in dieses Haus hinein.
Vor lauter Nervosität spürte ich Harndrang. Ich ging tiefer in den Wald und zog die Hose herunter, bemüht, sie so zu halten, dass sie im Regen von innen nicht nass wurde. Anschließend trank ich einen großen Schluck von meinem Energydrink und bat sämtliche Naturgeister um Verzeihung, weil ich die Dose in den Wald warf. Dann machte ich mich bereit, die Höhle des Löwen zu betreten. Forsch marschierte ich zum Haus zurück. Zum Haupteingang führte eine kleine Treppe, aber an der Westseite befand sich eine zweite Tür, offenbar der Dienstboteneingang. Den steuerte ich an. Plötzlich blendete mich ein heller Lichtstrahl. Die Seitentür stand offen, jemand richtete eine Taschenlampe direkt auf mein Gesicht.
«Da bist du ja endlich», sagte ein Mann wütend und in tadellosem Finnisch. «Wir warten schon seit einer halben Stunde. Und red dich nicht mit dem schlechten Wetter raus, darauf hättest du dich einstellen müssen. Komm rein!» Der Lichtstrahl wanderte über meinen Körper, ich war halb blind.
«Bist du taub, oder kannst du kein Finnisch? Wir hatten ausdrücklich ein finnisches Mädchen bestellt, das war doch der Witz bei der Sache. Nun komm endlich, du bist sowieso schon zu spät!»
Ich gehorchte, erstens, weil ich ins Trockene wollte, und zweitens, weil ich nur zwei andere Möglichkeiten hatte: weglaufen und riskieren, dass auf mich geschossen wurde, oder selbst mit der Waffe herumfuchteln. Der Mann, der mich hereinwinkte, schien den halben Tag im Fitnessraum zu verbringen. Er hatte streichholzlange rote Haare, und seinen dicken Hals zierte eine Tribal-Tätowierung, die nicht recht zu seiner blassen, sommersprossigen Haut passte. Als ich eintrat, musterte der Mann mich erneut, als hätte er vorher nichts gesehen.
«Puh, was für Klamotten!», sagte er. «Aber bei dem Wetter geht’s wohl nicht anders. Sexy sind die allerdings nicht. Mal sehen, ob du in die vorgesehenen Kleider passt, so groß, wie du bist. War nicht die Rede von Größe sechsunddreißig? Nimm mal den Hut ab.»
Ich streifte die Kapuze zurück.
«Kurze Haare … Na, wir haben sicher eine Perücke. Und Make-up wirkt Wunder. Wo hast du deinen Wagen geparkt?»
«Ich bin gebracht worden.»
«Wir hatten doch vollkommene Verschwiegenheit vereinbart, Sarita! Wer hat dich gebracht?»
«Ein Bekannter … Pete. Ich habe ihm gesagt, ich wollte ins Sommerhaus von einer Freundin und ihr beim Putzen helfen. Er weiß nicht, was ich mache.»
«Pete, aha … Na schön. Komm mit, ich zeige dir dein Zimmer und die Kleider, die wir für dich ausgesucht haben. Walentin soll zu seinem Geburtstag eine kleine Überraschung bekommen.»
Ich erinnerte mich an das rote Auto am Straßenrand und an das schlaff
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