Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leibwächterin (German Edition)

Die Leibwächterin (German Edition)

Titel: Die Leibwächterin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
Vom Netzwerk:
Hand hin, zog sie hoch und schob sie geradewegs zur Toilette.
    Mary Higgins, meine Vermieterin in der Morton Street im New Yorker West Village, war auch von Zeit zu Zeit im Vollrausch nach Hause gekommen. Sie hatte die Angewohnheit gehabt, Cocktails und Kokain durcheinander zu konsumieren, und hatte mich mehr als einmal gebeten, ihrem Kater entgegenzuwirken, indem ich sie zwang, etwas Salziges zu essen und Medikamente zu nehmen. Ich hatte das Zimmer in bester Lage durch Mike Virtue bekommen, der Marys Vetter war. Vielleicht hatte er gehofft, ich würde ein Auge auf Mary haben. Sie war eine Art Bild- und Performance-Künstlerin, und mit ihr hatte ich die verruchtesten Clubs von New York besucht, wo man nie wusste, was echt und was künstlich, wer Mann und wer Frau war. Ich hatte mich wohl gefühlt in diesen Kreisen, wo jeder etwas anderes darstellte, als er wirklich war, hatte allerdings nicht so ausgiebig feiern können, wie Mary es sich gewünscht hätte. Die Ausbildung an der Sicherheitsakademie mit Selbstverteidigungstraining und Schießübungen war ein Ganztagsjob, und für den Weg von der Morton Street nach Queens brauchte ich mindestens eine halbe Stunde. Der Dollarkurs war damals weitaus höher gewesen, was meine Vergnügungssucht ebenfalls gebremst hatte. In Manhattan hatte ich oft das Gefühl gehabt, unendlich weit von meiner Heimat entfernt zu sein. Ich hatte es ungeheuer genossen, meinen Zufallsbekanntschaften immer wieder neue Identitäten zu präsentieren, mich mal als finnische Putzfrau auszugeben, mal als dänische Kunststudentin, je nachdem, mit wem ich gerade sprach. Irgendwo ganz hinten im Schrank hatte ich immer noch einen Stapel Visitenkarten von damals. Für den Besitzer der einen hatte ich Helene geheißen, für einen anderen Anneli, für den dritten Camelia. Morgens war ich gegangen, hatte versprochen anzurufen, es aber nie getan.
    Bei meiner Rückkehr aus den Staaten hatte ich einen ordentlichen Vorrat der pflanzlichen Mittel gegen Übelkeit mitgebracht, die Mary bevorzugte. Als die Würgegeräusche in der Toilette aufhörten und Jenni in ihr Zimmer taumelte, verabreichte ich ihr eine doppelte Dosis. Es war ein Mittel, das Marys Erinnerungsvermögen immer erheblich beeinträchtigt hatte, und wenn ich Glück hatte, würde Jenni sich am nächsten Morgen gar nicht mehr an ihre Heimkehr erinnern.
    Das Glück war mir tatsächlich hold. Als ich nach zweistündigem Joggen im Regen pitschnass nach Hause kam, saß Jenni mit einem Glas Orangensaft in der Küche. Die geröteten Augen waren der einzige Farbtupfer in ihrem blassen Gesicht.
    «Hallo. Bist du auch mal wieder zu Hause», sagte sie und griff tapfer nach dem Saftglas, hatte jedoch Schwierigkeiten beim Schlucken. Sie schien keine Ahnung zu haben, dass ich ihr in der Nacht Marys Medikament eingeflößt hatte.
    «Riikka hat mir erzählt, ich hätte dich geweckt, als ich gegen drei nach Hause gekommen bin. Sorry. Unsere Party zum Semesterstart ist ein bisschen ausgeufert.»
    «Macht nichts. Ich bin ziemlich schnell wieder eingeschlafen. Kann ich ein bisschen Saft haben? Ich kaufe dann am Bahnhof neuen. Im Moment habe ich bloß Nudeln und einen Rest Bier im Kühlschrank.»
    Da Sonntag war, würde ich mich erst am nächsten Tag arbeitslos melden können. Allerdings hatte ich nicht vor, mich müßig durch die dreimonatige Karenzzeit zu hangeln, sondern möglichst schnell einen neuen Job zu finden. Ich überflog die Stellenangebote in der Zeitung und entdeckte zwei freie Stellen bei einer Wach- und Schließgesellschaft, eine davon am Flughafen Helsinki-Vantaa. Ich füllte umgehend das Bewerbungsformular im Internet aus und schrieb dann eine Mail an Monika von Hertzen, ohne zu wissen, wie oft sie überhaupt Gelegenheit hatte, ihre E-Mails zu lesen. Ich berichtete ihr, warum ich gekündigt hatte. Monika würde mich verstehen. Sie war eine der wenigen, die von meiner Beziehung zu Frida wussten.
    Da es regnete, ging ich davon aus, dass meine Nachbarin, die Witwe Elli Voutilainen, zu Hause sein würde. Sie lebte schon seit Jahrzehnten hier und war für die meisten Bewohner so etwas wie eine Patentante. Ich hatte gelegentlich ihre Teppiche geklopft und ihr beim Fensterputzen geholfen. Als ich klingelte, kam sie in der Küchenschürze an die Tür. Aus ihrer Wohnung roch es herrlich nach Preiselbeerkuchen.
    «Da schau an, die Hilja! Du warst ja eine ganze Weile weg, aber ich habe dich gesehen, als du heute früh durch den Regen gelaufen bist. Dass du dich

Weitere Kostenlose Bücher