Die Leibwächterin (German Edition)
bedeutete die Tatsache, dass der Mann im Internet nicht zu finden war, eigentlich gar nichts, sie bewies nicht einmal, dass er unter falschem Namen aufgetreten war.
Ich suchte noch auf den finnisch-, schwedisch- und estnischsprachigen Seiten und startete eine Bildsuche, doch das Ergebnis war so dünn wie das Bein eines Wasserflohs. Allerdings fanden sich auch über mich kaum Informationen im Internet; ich hatte keine Homepage, und Myspace, Facebook und dergleichen konnten mir gestohlen bleiben. Ich brauchte keine Unsterblichkeit im Bit-Universum, um mich lebendig und wichtig zu fühlen.
Zum Schluss ließ ich mich dazu verleiten, noch einen weiteren Namen ins Suchfeld zu tippen: Keijo Suurluoto. Ich erhielt zig Ergebnisse, denn viele Menschen beschäftigten sich mit authentischen Verbrechen. Ein Keijo Kurkimäki fand sich dagegen nicht. Offenbar interessierte sich niemand für den heutigen Namen meines Vaters. Zu meiner Erleichterung entdeckte ich auch keine Meldung, der zufolge Suurluoto-Kurkimäki auf dem Gnadenweg ein Teil der lebenslänglichen Gefängnisstrafe erlassen worden sei, die das Gericht im Frühjahr 1981 über ihn verhängt hatte.
Der Mädchenname meiner Mutter lautete Karttunen. Mein Onkel Jari war ihr einziger Bruder gewesen, ihr Vater schon vor meiner Geburt gestorben, und meine Oma starb – Onkel Jari zufolge an Trauer – drei Monate nachdem mein Vater meine Mutter getötet hatte. Die Eltern meines Vaters hatten damals noch gelebt, mich aber nicht bei sich aufnehmen wollen. Mein Großvater väterlicherseits hatte nach dem Mord gesagt, vermutlich sei das Kind gar nicht von seinem Sohn. Die Vorstellung, das Kind eines anderen zu sein, hatte mir gefallen, aber leider hatte ich auf den wenigen Fotos von Keijo Suurluoto, die ich gesehen hatte, meine eigenen Gesichtszüge erkannt.
Onkel Jari war mir ein besserer Vater gewesen, als Keijo Suurluoto es je hätte sein können. Ich hatte nie den Wunsch verspürt, meinen Vater im Gefängnis zu besuchen, und er hatte nicht darum gebeten. Vielleicht hatte auch er an seiner Vaterschaft gezweifelt. Allerdings hatte mich seine Mutter, vermutlich als eine Art Wiedergutmachung, in ihrem Testament bedacht.
Da mein Vater mehrere Geschwister gehabt hatte, liefen möglicherweise irgendwo Vettern und Cousinen herum, von denen ich nichts wusste. Vielleicht würde mein altmodischer Vorname eines Tages entfernte Verwandte auf meine Spur bringen, doch ich wollte nichts mit ihnen zu tun haben.
Ich aß eine Gemüsepizza, bevor ich vom Einkaufszentrum zu dem etwa einen Kilometer entfernten Haus von Helena Lehmusvuo ging. Im Vorgarten des Reihenhauses blühte eine lila Dahlie. Die Sonne, die endlich wieder zum Vorschein gekommen war, ließ die ersten gelben Birkenblätter aufleuchten. Das kleine Gärtchen wirkte ungepflegt, die verwelkten Dahlienblüten waren nicht entfernt worden, und der Rosmarin, der in einem Blumentopf neben der Tür stand, war vertrocknet.
Ich klingelte. Die Frau, die mir öffnete, wirkte in Natur viel kleiner als auf den Fotos. Ihre braunen Haare waren kurz geschnitten, ein paar dunkelviolett gefärbte Strähnen betonten das Kakaobraun ihrer Augen. Sie trug eine violette Jacke und eine dunkelgraue Hose, keinen Schmuck und kein Make-up. Ihr Gesicht war blassgrau, als hätte sie mehrere Nächte nicht geschlafen.
Helena Lehmusvuo bat mich herein. Ihre Reihenhauswohnung wirkte geräumig, aber irgendwie halb fertig. Am Wohnzimmerfenster hingen nur Jalousien, keine Vorhänge, überall stapelten sich Bücher und Papiere. Die provisorische Atmosphäre der Wohnung wirkte vertraut, sie erinnerte mich an meine Bude in der Untamontie, ebenfalls eine Art Zwischenlager für Menschen. Lehmusvuo fragte, ob ich Kaffee oder Tee wolle, und da ich von der Pizza Durst bekommen hatte, bat ich um Tee. Ich hörte, wie meine Gastgeberin sich in der Küche zu schaffen machte. Zum Zeitvertreib sah ich mir die Bücherstapel auf dem Fußboden an. Daneben lagen Bretter, die unverkennbar zu einem Bücherregal gehörten, außerdem ein Sechskantschlüssel und ein Hammer. Einige der Bücher waren russisch, ich entzifferte die Namen Achmatowa und Dostojewski.
«Bei mir herrscht immer noch Chaos! Als ich im Frühjahr hier eingezogen bin, hatten wir im Parlament entsetzlich viel zu tun. Im Sommer habe ich eine zweimonatige Radtour durch Italien und Frankreich gemacht, anstatt die Wohnung einzurichten. Mein ehemaliger Lebensgefährte hat unsere gemeinsame Wohnung und den größten
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