Die Leibwächterin (German Edition)
daran denken, dass jeder immer und überall ums Leben kommen konnte, ohne Vorwarnung und ohne eigenes Verschulden. Es genügte, auf der Landstraße einem Elch oder einem betrunkenen Autofahrer zu begegnen, den Falschen zu heiraten oder dieselbe Schule zu besuchen wie einer, in dessen Kopf sämtliche Schrauben wackelten, der aber einen gültigen Waffenschein besaß. Ich verstand daher sehr gut, weshalb runde Geburtstage immer so großartig gefeiert wurden: Es war eine respektable Leistung, fünfzig, sechzig Jahre oder noch länger zu überleben. Meine Mutter war mit sechsundzwanzig gestorben. Ich lebte bereits acht Jahre länger als sie.
Mit dem Bett musste etwas geschehen. Am Schlafzimmerfenster Panzerglas anzubringen war furchtbar teuer, aber falls ich feststellte, dass Helena tatsächlich Grund hatte, um ihr Leben zu fürchten, war die Investition notwendig. Als Alternative kam natürlich auch ein Umzug in Betracht. Hochhäuser hatten ihre Vorteile, besonders, wenn die gegenüberliegenden Häuser niedriger waren. Anita hatte immer Hotels gewählt, in denen niemand durch das Fenster auf sie schießen konnte, es sei denn, er wäre als Fassadenkletterer mindestens so geschickt wie Spiderman oder käme im Hubschrauber angeflogen. Ein Hubschrauber wiederum macht einen derartigen Lärm, dass sich jeder vernünftige Mensch rechtzeitig in Sicherheit bringen kann.
Die Sauna-Abteilung bestand aus zwei Räumen, der eigentlichen Sauna und einem schmalen Bad mit Toilette, Waschbecken, Dusche und Waschmaschine. An der Wäscheleine unter der Decke hingen feuchte Laken, die mir ins Gesicht schlugen, als ich in die Sauna ging. Sie bot Platz für zwei Personen, und Helenas Behauptung, sie benutze sie nie, entsprach allem Anschein nach der Wahrheit, denn auf den Bänken stand ein Ordner neben dem anderen. Über dem elektrischen Saunaofen hing ein engmaschiger Drahtkorb, in dem Kräuter trockneten, und auf dem Fußboden lagerten mehrere Kartons voll Geschirr.
Ich ging wieder hinunter und fragte Helena Lehmusvuo, wer sie in letzter Zeit besucht hatte. Außer Aapo und dem Monteur, der den WLAN-Anschluss installiert hatte, fiel ihr niemand ein. Nach kurzem Nachdenken sagte sie, jemand habe geklingelt und Kartoffeln angeboten, aber sie esse meist im Parlament und gehöre außerdem einer Einkaufsgenossenschaft an, über die sie die wenigen Lebensmittel bestelle, die sie zu Hause brauche. Ihren Nachbarn sei sie nur gelegentlich auf der Straße begegnet, halte aber sonst keinen Kontakt zu ihnen. Wie die beiden anderen Prominenten, die mich im Lauf meiner Karriere engagiert hatten, begegnete auch Helena Lehmusvuo den sogenannten normalen Menschen mit Zurückhaltung. Man konnte nie wissen, was hinter ihren Annäherungsversuchen steckte. Handys mit Kamera und Tonaufnahme gab es überall.
«Du hast mich übrigens einfach ins Haus gelassen, ohne meine Personalien zu überprüfen», tadelte ich sie, als wir den Arbeitsvertrag unterschrieben. Helena wurde rot und wandte ein, sie kenne mich doch aus dem Chez Monique. Ich schärfte ihr ein, in Zukunft misstrauischer zu sein. Jeder Beliebige konnte sich beispielsweise als Journalist ausgeben und ein Interview in einem Café oder Lokal vorschlagen, wo es keine Metalldetektoren gab wie im Parlament.
Am kommenden Wochenende wollte Helena an einem Wahlseminar der Grünen im Gasthof von Kopparnäs teilnehmen. Ob David Stahl noch dort wohnte? Der Gedanke erregte mich, die Möglichkeit, ihm noch einmal zu begegnen, war einfach viel zu verlockend. Zwischen meinen Schenkeln pulsierte es, ich dachte rasch an etwas anderes.
Mit den Nachbarn wollte ich erst sprechen, wenn ich in Reiskas Gestalt zurückkehrte. Ein Handwerker aus Savo war verständlicherweise neugierig und auch ein wenig einsam. Vielleicht würde er mit den Männern aus der Nachbarschaft sogar eine Kneipentour machen. Allmählich kristallisierte sich in meinem Kopf ein Plan heraus. Während ich die Regale zusammenbaute, stellte ich Helena noch einige ergänzende Fragen. Sie bat mich, die Bücher und CDs in alphabetischer Reihenfolge einzuräumen, damit sie mühelos fand, was sie suchte. Ich bekam einen Hausschlüssel und versprach, am Sonntagabend als Reiska zurückzukommen. Dann schrieb ich ihr meine Telefonnummer und meine Adresse in Helsinki auf.
«Noch etwas. Anitas Tochter Cecilia Nuutinen-Kekki kommt nächste Woche nach Finnland, ich weiß noch nicht, wann genau. Ich habe versprochen, mich mit ihr zu treffen. Du hast doch nichts
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