Die Leibwächterin (German Edition)
sieht. Ist bei dir alles in Ordnung?»
«Natürlich, wieso denn nicht? Ich war den halben Tag draußen in der herrlichen Landschaft, jetzt freue ich mich auf die Sauna und auf den Schlaf.»
«Welches Zimmer hast du?»
«Nummer eins im Nebenhaus ‹Kupfer-eins›. Wir sind jeweils zu zweit in einem Zimmer untergebracht.»
Ich seufzte erleichtert auf: David und ich waren in «Kupfer-drei». Zum Glück stellte Helena keine Fragen. Ich wartete, bis sie gegangen war, und setzte mich dann an denselben Tisch, an dem wir schon einmal gesessen hatten. Tischdecke, Servietten und Gläser waren violett, die Nebentische waren in anderen Farben gedeckt. Die Wirtin kam und fragte, was ich trinken wolle, doch ich sagte, ich wartete auf meinen Begleiter.
«Ich bin, wie ich bin, ich tue, was ich tue, ich umarme keinen, nur weil es sich so gehört.» Jari Sillanpää sang im Radio diesen dramatischen Walzer, und obwohl der Schlager nicht zu meinen Favoriten zählte, traf er mich mit voller Wucht, denn er schien genau von dem zu handeln, was ich gerade erlebte. Und als David hereinkam, spürte ich wieder, wie gern ich bei ihm war, gerade hier, gerade jetzt.
«Das war eine meiner beiden Schwestern», sagte David. «Sofia heißt sie. Sie lässt dich grüßen.»
«Wieso denn?»
«Ich habe ihr erzählt, dass ich eine umwerfende Frau kennengelernt habe, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen will. Und dass sie Finnin ist, die Familientradition also weitergeführt wird. Wollen wir darauf mit Sekt anstoßen? Und was steht heute auf der Speisekarte? Hoffentlich etwas mit viel Protein.»
Wir wählten beide Räucherlachs, als Aperitif Sekt und zum Essen eine Flasche Weißwein. Nun musste ich nur dafür sorgen, dass David den Löwenanteil trank. Er war wieder sehr gesprächig, sprudelte geradezu, als er von seiner Kindheit berichtete, von Segeltörns und Irrfahrten im Nebel. Ich merkte, dass auch ich mehr über meine Vergangenheit erzählte, als ich sonst preisgab. Vergeblich versuchte ich, den Namen Hevonpersii ins Schwedische zu übersetzen, auf Englisch hatte ich immerhin Horse’s Ass Island parat, die Übersetzung, die ich mir für meine Mitschüler an der Sicherheitsakademie ausgedacht hatte und die David zum Lachen brachte.
«Dein Onkel Jari scheint ein netter Kerl gewesen zu sein. Du hattest Glück, dass du bei ihm aufwachsen durftest. Wer war deine beste Freundin, als du klein warst? Mädchen haben doch immer eine beste Freundin, während Jungen eher Herden bilden.»
«Frida. Frida war meine beste Freundin.»
«Frida? Das ist ja ein schwedischer Name. Leben in eurer Gegend Finnlandschweden?»
«Nein, kein einziger. Frida war kein Mensch, sondern ein Luchs. Ein verwaistes Luchsjunges, das Onkel Jari gefunden und zu uns ins Haus gebracht hat.»
«Du hattest einen Luchs als Haustier?»
«Frida war kein Haustier, sondern eine Freundin. Sie war meine Schwester.»
Davids Handy signalisierte die Ankunft einer SMS. Als er sie las, runzelte er die Stirn und blies die Backen auf. Er las die Nachricht noch einmal und tippte eine Antwort. Ich überlegte, ob sein Telefon einen Schriftumwandler hatte, der es ihm erlaubte, in kyrillischen Buchstaben zu schreiben, oder ob er die russischen Wörter einfach transliterierte. Als er fertig war, knallte er das Handy auf den Tisch, hob es nach kurzem Nachdenken wieder auf und schaltete es aus.
«Es tut mir leid, aber meine Pläne haben sich geändert. Ich muss morgen spätestens um neun Uhr abfahren. Eine Angelegenheit, die keinen Aufschub duldet.»
«Du arbeitest also auch sonntags?»
«Wenn der Kunde darauf besteht. Aber daran mag ich jetzt nicht denken, lass uns lieber die Zeit genießen, die uns bleibt. Erzähl mir mehr von Frida.»
Fridas Bild war das einzige Foto, das ich in der Brieftasche bei mir trug. Ich hatte es bisher erst zwei Menschen gezeigt: meiner Vermieterin in der Morton Street, als sie wieder einmal vom Kokain benebelt war, und in einem Moment der Schwäche – ich hatte damals gerade von Onkel Jaris Tod erfahren – Mike Virtue. Selbst Monika hatte Fridas Bild nicht gesehen, obwohl sie von ihr wusste. David sollte der Dritte sein, mit dem ich mein Geheimnis teilte. Das Foto passte haargenau in das Fach für den Führerschein, der es vor neugierigen Blicken schützte.
«Da. Frida ist auf dem Bild ungefähr zwei Jahre alt. Onkel Jari ist bis nach Kuopio gefahren, um den Film entwickeln zu lassen, weil er Angst hatte, in Kaavi oder Outokumpu würden sie ihm dumme
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