Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
könnte Söhnle heißen, aber ebensogut Franke, Hähnle, Raucke oder was auch immer. Schwer zu sagen. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, hier habe jemand absichtlich mit einer Klaue seinen Namen zu verheimlichen versucht. Dann eine Bescheinigung von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, Baumweg 5-7, vom August 1955, in der es hieß, Joshua Silbermann sei am 20. Oktober 1941 deportiert worden. Und da Herr Silbermann nicht zurückgekehrt sei, müsse von seinem Tod ausgegangen werden. Desweiteren ein Schreiben vom selben Absender, nur einen Monat später, in dem erklärt wurde, daß einige, vor allem schon lange im KZ eingesperrte Häftlinge gelegentlich Tätowierungen trugen. Letzteres ergab Sinn, da Esther auch eine Schwarzweißfotografie mitgebracht hatte, die einen Herrn, der Hermann Bauer vom anderen Foto zum Verwechseln ähnlich sah, beim Grillen zeigte. Auf seinem linken Unterarm war ganz deutlich eine tätowierte Nummer zu erkennen. Sie war aber zu klein, um die Ziffern lesen zu können.
„Was ist das?“ wollte Herr Schweitzer wissen.
„Mein Opa Joshua. Hinten steht noch was drauf.“
„Tel Aviv, Juni 1955“, las er laut.
„Ich verstehe das alles nicht. Warum schreiben die dann, er sei tot?“
Herr Schweitzer schwieg. Auf all das konnte er sich auch keinen Reim machen. Ihre Theorie, Joshua Silbermann habe zur Tarnung den Namen Hermann Bauer benutzt, war inzwischen mehr als abstrus geworden. Er ging in sein Zimmer und holte die Kopie von der Industrie- und Handelskammer.
„Hier, Esther, lies dir das mal durch.“ Die Todesurkunde hatte er absichtlich nicht mitgebracht. Zum einen wollte er Esther schonen, zum anderen sah er, daß je mehr Unterlagen auftauchten, desto undurchdringlicher der Nebel wurde, hinter dem sich die Wahrheit verbarg.
Esther, nachdem sie das Schreiben von der Übernahme des Möbelgeschäftes ihres Großvaters gelesen hatte: „Hmm, vielleicht hat mein Opa sich erst unter dem Namen Bauer versteckt und dann sein eigenes Geschäft übernommen?“
Laura: „Das glaube ich nicht. Damit hätte er doch sein Leben aufs Spiel gesetzt.“
„Das stimmt“, pflichtete ihr Herr Schweitzer bei. „Unmöglich. In dieser Lage geht niemand ein solches Risiko ein.“
„Aber mein Opa hing doch so an seinem Geschäft. Das steht doch in dem Brief an Rahel.“
Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, dachte Herr Schweitzer zermürbt, nirgends war eine Logik zu erkennen. Doch in seinem tiefsten Inneren war ein Gedanke am Keimen, der alles in einen Zusammenhang setzte, aber so völlig aus der Welt war, daß er sich schüttelte.
„Fehlt dir was?“ fragte Laura.
„Nein, es ist nur alles so ... unübersichtlich.“
„Und wenn mein richtiger Opa tot ist, wer ist dann der Mann, der mit meiner Oma in Israel lebt? Ein anderer Jude?“
O Gott, durchfuhr es Herrn Schweitzer, auf was habe ich mich da eingelassen? Am wenigsten wollte er, daß Esther litt, auch wenn sie selbst schon den Verdacht geäußert hatte, ihr Opa könnte tot sein. Doch er befürchtete, die Wahrheit würde noch viel grausamer sein.
Laura: „Das ergibt doch alles keinen Sinn, Esther. Das bräuchte man doch nicht zu verheimlichen.“
Womit sie recht hatte, mußte Herr Schweitzer zugeben. Außerdem stand für ihn eines mit absoluter Sicherheit fest: Der Mann auf dem Foto neben Heidenbrück namens Hermann Bauer war derjenige, der mit Esthers Oma in Tel Aviv lebte. Doch wer war er? Ihr Liebhaber während einiger Kriegsjahre? Derjenige, der sich das Möbelgeschäft Silbermann unter den Nagel gerissen hatte? Fast alles sprach dafür. Ein Jude? Ganz sicher, siehe KZ-Nummer. Dann war er es, der es geschafft hatte, sich hinter einer falschen Identität zu verbergen. Und Joshua Silbermann war tot, mußte tot sein. Die Deportationsliste und der Brief von der Jüdischen Gemeinde belegten es. Trotz der Wirren der damaligen Zeit, beides zusammen konnte einfach kein Irrtum mehr sein. Und trotzdem, für einen Juden namens Hermann Bauer wäre es nicht weniger hirnrissig gewesen, sich das Möbelgeschäft Silbermann anzueignen. Obwohl, dumm genug wäre er ja gewesen, wenn man die Rechtschreibfehler des Liebesbriefes an Miriam als Maßstab nahm. Aber was sollte dann die Heimlichtuerei nach Kriegsende? War er es vielleicht, der Esthers Großvater denunzierte, um damit freie Bahn zu haben?
„Ach, wißt ihr was, lassen wir es gut sein für heute“, sagte Esther überraschend. „Wollen wir heute abend ausgehen? Ich lade
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