Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
Samstag der folgenden Woche mit einer Frisur wie Gestrüpp und auch ansonsten noch nicht ganz beieinander die Küche betrat. Zu seiner allergrößten Verblüffung fand er Laura vor einer dampfenden Tasse Kaffee sitzen, was während all der Jahre, die sie nun schon zusammen hausten, so gut wie noch nie geschehen war. Nicht am Wochenende. Nicht bei einer Tasse Kaffee. Wohl hatten sich ihre Wege um diese Uhrzeit gelegentlich schon gekreuzt, will heißen, Laura kam von einer Nacht erfolgloser Männerjagd, ansonsten sie ja beim Galan genächtigt hätte, nach Hause und hatte sich als Frusttrunk, und um die Hormone zu bekämpfen, noch ein Bier geöffnet. Trotz seines zerknautschten Allgemeinzustandes war Herr Schweitzer sehr wohl schon in der Lage, eine Tasse Kaffee von einer Flasche Bier zu unterscheiden. „Na huch, was treibt dich denn schon um? Guten Morgen.“
Irgendetwas außer der Reihe mußte vorgefallen sein, denn Laura nahm keine Rücksicht auf den noch im Halbschlaf Befindlichen. Ohne Punkt und Komma plapperte sie wie wild und von Sinnen auf ihn ein. Ihr Vortrag war mit dermaßen belanglosen Details ausgeschmückt, daß sich Herr Schweitzer nach fünf Minuten genötigt sah, seiner Mitbewohnerin mit einem resignierten Seufzer Einhalt zu gebieten. „Haaallo.“
„Äh, ja?“
„Der alte Mann ist noch nicht in die Gänge gekommen. Ist noch Kaffee da?“
„Ja, fast noch voll, die Kanne. Was meinst du dazu?“
Zum Zeichen, daß er erst wieder den Mund aufmachen würde, nachdem Koffein sein Blut in die Umlaufbahn geschossen hatte, hob er beschwörend die Hände.
Ah, schön stark, so wie er ihn liebte. Herr Schweitzer setzte die Tasse ab. „Was guckst du so?“
„Deine Frisur. An die solltest du auch mal wieder einen Profi lassen.“
Mit beiden Händen drückte er die Haare platt. Dann nahm er sie wieder fort, und das Gestrüpp schien ein Stromstoß zu durchfahren, denn sofort richtete es sich wieder in alle Himmelsrichtungen. „Also, was meinst du mit
Wie mein ich das?
“
„Hast du denn nicht zugehört?“
„Aber klar doch. Esther und Flughafen.“ Mehr hatte er aus dem Durcheinander nicht heraushören können. „Und jetzt noch mal zum Mitschreiben, ohne Schnörkel und so.“
„Esther hat vorhin angerufen. Heute um sechzehn fünfunddreißig landet sie auf Rhein-Main. Und außerdem hat sie noch ein paar Sachen gefunden.“
Aha, dachte Herr Schweitzer, und dafür hat die gute Laura vorhin fünf Minuten gebraucht. In der Zeit hätte er anderen die Relativitätstheorie verklickern können. Na ja, so im Ansatz halt. „Was für Sachen?“
„Na, über unseren Fall. Ist das nicht toll?“
Sein Jagdfieber schlummerte noch. „Doch. Ja.“
„Freust du dich denn gar nicht? Ich dachte, Esther sei dir sympathisch.“
Er deutete auf seinen Kaffee. „Komm du erst mal in mein Alter.“
„Fünfzig, dieses Jahr, stimmt’s?“ Ein süffisantes Grinsen bedeckte ihr Gesicht.
„Hör mir auf, laß uns von was Erfreulicherem sprechen, aufgeschlitzten Leichen zum Beispiel.“
„Feierst du?“
„Was?“
„Deinen Geburtstag, du Scherzkeks, was sonst?“
„Natürlich. Ich habe bereits die Pietät Mayer-Zumdick gebeten, was Hübsches zu arrangieren.“
„Du bist echt noch nicht so richtig da.“
„Meine Rede.“
„Aber zum Flughafen kommst du doch nachher mit?“
„Claro, muchacha.“
Mit aschfahlem Gesicht betrat er die Vorhölle. Bei anderen Menschen fungiert sie unter dem Begriff Flughafenankunftshalle. Die lautere Wahrheit war: Herr Schweitzer hatte einen Horror vorm Fliegen. Keine zehn Pferde würden ihn je in ein solches Ungetüm bringen. Dann schon lieber mit der Titanic einen Eisberg küssen, da konnte man wenigstens noch schwimmen oder einen Platz im Rettungsboot ergattern. Fallschirme standen ja wohl nur Starfighterpiloten zu, als sei deren Leben mehr wert als das seinige. Und der Katastrophengründe gab es mannigfaltige. Mal riß unversehens eine Tür aus der Verankerung, und man wurde in die Stratosphäre katapultiert. Mal fiel ein Triebwerk oder alle gleichzeitig aus. Mal schlug eine Rakete feindlich gesinnter Nationen ein. Mal hatte jemand versehentlich eine Bombe zurückgelassen. Mal waren sich die Flugkapitäne nicht über die Vorfahrt einig. Mal schickte eine Schweizer Luftüberwachung eine Tupolev 154 in den Rumpf eines anderen Fliegers. Mal wurde die Landebahn knapp, aber ausreichend verfehlt. Mal gaukelte der Höhenmesser vor, man sei noch hoch genug über dem kleinen Hügel
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