Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
gesprenkelt mit lustigen gelben Punkten, geschwungen, das Schutz vor den Einschlägen der Sandkörner gegen die untere Gesichtspartie bot. Es folgte ein khakifarbenes Hemd mit so vielen Taschen, das selbst der Inhalt einer Damenhandtasche dort großzügig Platz fände. Ein eindrucksvoller Chronometer, der sogar die Uhrzeit von Tokio anzeigte und in etwa die Größe einer Schuhcremedose hatte, zierte sein linkes Handgelenk, das rechte diente als Halt für einen nur unwesentlich kleineren Kompaß mit integrierter digitaler Luftdruck- und Temperaturanzeige. Am farblich etwas dunkleren Gürtel baumelten mehrere Karabinerhaken unterschiedlicher Größe, eine Feldflasche, eine Fototasche, eine Stabtaschenlampe von etwa fünfunddreißig Zentimetern Länge, in deren Lichtkegel man getrost ein nächtliches Fußballspiel hätte austragen können, und eine lederne Scheide, die ein Messer beherbergte, vor dem selbst hartgesottene Löwen Reißaus nehmen würden. Ein schwarzer Brustbeutel für die Wertsachen hing über dem Gürtel und lag fast waagerecht auf Herrn Schweitzers Bauchwölbung. Krönung des Ganzen aber war die Khakihose, die das Hemd, was die Anzahl der Taschen und Täschlein anging, noch übertraf. Ein weiterer Clou waren die kurz unter den Kniescheiben abnehmbaren Beine, so daß man sich blitzschnell einem überraschenden Wetterumschwung anpassen konnte, was, wie jedermann weiß, bei einer Kilimandscharobesteigung von sehr großem Vorteil sein kann, da man dabei gleich mehrere Vegetations- und Klimazonen durchschritt. Laura hatte deren Funktionsweise auch sofort erkennen können, denn Herr Schweitzer hatte das eine Hosenbein an- und das andere ausgezogen, um sich selbst ein Bild vom Unterschied zu verschaffen. Zwei Schiffe von Schuhen aus allerfeinstem Känguruhleder versprachen absolute Standfestigkeit selbst bei Windstärke Zwölf. Und ihr Schaft, der von meterlangen Schnürsenkeln zusammengehalten wurde, ging so hoch, daß keine Gefahr eines Schienbeinbruchs mehr drohte.
Am Weihnachtsbaum Schweitzer hing alles, was der Markt für Kontinentaldurchquerungen hergab. Optisch war alles wie aus einem Guß. David Livingstone wäre vor Neid erblaßt. Alleine schon der Messergriff aus Elfenbeinimitat vermittelte jene revolutionäre Sprengkraft, die in diesem Sachsenhäuser Mannsbild steckte. Solche tollkühnen Erscheinungen machten einfach keine Gefangenen.
Wie angewurzelt blieb Laura im gebührenden Abstand stehen. Der Anblick hatte ihr die Sprache verschlagen.
Doch Herr Schweitzer war noch nicht komplett. „Komm mal in mein Zimmer.“
Höchst verwundert folgte ihm seine Mitbewohnerin. Erst die Sache mit dem Brettchen, dachte sie. Und jetzt das hier.
Über Herrn Schweitzers Bettgemach spannte sich ein riesiges Moskitonetz – Christo hätte damit wahrscheinlich den Grand Canyon abgedeckt. „Na, was sagst du dazu?“
„Was hast du vor?“
„Ich reise nach Israel, unseren Fall aufklären.“
Der Zusammenhang mit der Tropenausrüstung blieb Laura vorerst verschlossen. Sie öffnete den Mund, aber kein Ton kam heraus.
Herr Schweitzer deutete dies als beklagenswerte Unkenntnis. „Nach Afrika, wir fahren auch nach Ägypten rüber. Maria und ich. Urlaub machen.“
Lauras Augen erreichten die Größe von Bierdeckeln. Wenn die Realität so aussieht, durchfuhr es sie, sollte ich vielleicht mit Drogen anfangen. Trotz der widrigen Umstände fand sie ihre Sprache wieder: „Haben wir noch etwas Wein im Haus?“
Er überhörte es. „Da staunst du, was?“
Wie in Trance suchte sie die Küche auf. Wein war noch da, Herkunft und Qualität völlig ohne Belang, und auch den Korkenzieher fand sie auf Anhieb. Gläser waren noch nicht erfunden, Laura trank gleich aus der Flasche.
In Erwartung einer Bemerkung war ihr Herr Schweitzer gefolgt. Doch Laura war der Umgang mit Verrückten nicht vertraut. Sie hielt es für ratsam, vorübergehend sämtliche Worte auf die Waagschale zu legen: „Was erwartest du dort?“
„Das Übliche“, erklärte Herr Schweitzer, der sich über diese Frage doch arg wunderte.
„Also Tiger, Löwen, Elefanten, Nilpferde, Wüstenstürme und so?“
„Ja. Besser, man paßt da höllisch auf.“
„Weiß Esther es schon?“
„Ich habe sie gestern angerufen. Sie hat mir die Adresse ihrer Großeltern gegeben. Ich werde wohl ein bißchen die Archive der dortigen Zeitungen durchstöbern. Vielleicht stoße ich ja auf Hinweise. Hab mir extra deswegen einen Presseausweis besorgt“, erklärte er nicht
Weitere Kostenlose Bücher