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Die Leichenuhr

Die Leichenuhr

Titel: Die Leichenuhr
Autoren: Jason Dark
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einem Zusammenbruch. Erst jetzt wurde ihm klar, was das bedeutete. Er würde sie nie mehr in den Armen halten können, nie mehr über ihre nackte Haut streicheln. Er würde nicht mehr in den Genuß ihrer Leidenschaft gelangen, denn in den letzten Minuten hatte sich alles verändert.
    Lizzy war tot!
    Er hatte sie zweimal sterben sehen. Zum einen auf dem Uhrzeiger, zum anderen in seinem Traum, falls es dann ein Traum gewesen war. Jules war kein Traumexperte, er gehörte zu den Menschen, die nicht oft bewußt träumten, so etwas jedoch hatte er noch nicht erlebt. Dieser Traum war einfach zu realistisch gewesen, um ihn überhaupt als einen Traum ansehen zu können.
    Was war es dann? fragte er sich. War es in seinem Traum die Hitze des Feuers gewesen, die ihn erfaßt hatte, so spürte er nun die Kälte, die über seinen Rücken kroch, als wäre er von einem Eisnebel berührt worden.
    Angst…
    Die Kälte der Angst überflutete ihn. Er zog den Kopf ein. Seine Kehle steckte voller Teer, der sich schwerfällig bewegte. Er mußte husten und hörte das dumpfe Geräusch.
    Da war etwas umgefallen – oder?
    Er schaute nach vorn.
    Im Kerzenlicht betrachtete er das Zifferblatt der Uhr. Links davon entstand eine Bewegung, die noch von der Dunkelheit verborgen war.
    Vangard konzentrierte sich trotzdem nur auf diesen Punkt, denn er wußte, daß dort bald etwas Entscheidendes passieren würde.
    Der Kerzenschein waberte in die Dunkelheit hinein, aber nicht zu tief, um schon etwas hervorzuholen. Die Bewegung war für Jules mehr zu ahnen als zu sehen.
    Seine Spannung wuchs und damit auch der Druck. Auf der Stirn sammelten sich die Schweißperlen. Schweiß bedeckte auch seine Oberlippe, und die Gänsehaut rann bis zu seinen Kniekehlen.
    Sie kam.
    Es war Lizzy, die sich plötzlich aus der Finsternis hervorschälte und im ersten Moment aussah wie eine Gestalt aus dem Totenreich, denn ihr weißes Kleid wehte bis zu den Knöcheln hinab und verdeckte dabei noch die Füße.
    Jules Vangard stand unbeweglich auf dem Platz und begriff es einfach nicht. Er war nicht in der Lage, gewisse Dinge zu realisieren, sein Denken war einfach abgeblockt worden, und die Kehle saß so zu, daß er kaum Luft bekam.
    Er stöhnte. Es hatte eigentlich ein Wort aus seinem Mund dringen sollen, doch erbrachte den Namen Lizzy nicht hervor. Statt dessen spürte er, wie sich Tränen aus seinen Augen lösten und als kleine Tropfen an den Wangen herabliefen.
    Lizzy blieb stehen. Sie hatte sich einen guten Platz ausgewählt, von wo aus sie den Überblick hatte. Ihre Hände umklammerten die Balustrade, und das Lächeln auf ihrem Mund war eine einzige Lockung.
    Das alles interessierte ihn nicht, daran schaute er vorbei, für ihn war einzig und allein die Gestalt wichtig, denn er suchte nach dem Blut und den Wunden.
    Er sah sie nicht.
    Vangard wollte beinahe schon lachen, dann aber hob er mit einer langsamen Bewegung seinen Arm und strich mit dem Handrücken durch das Gesicht. Besonders über seine Augen, als wollte er das Bild der völlig normalen Lizzy wegwischen und statt dessen ein anderes, ein schreckliches hervorholen.
    Es war nicht möglich, nichts mehr war möglich. Lizzy sah noch immer so unverletzt aus, und sie löste jetzt die rechte Hand von der Balustrade, um sie Jules entgegenzustrecken. Dabei bewegte sie ihre Finger. Es war eine Lockung, der er nicht widerstehen konnte, obwohl er sich nicht mehr danach sehnte, Lizzy in die Arme zu schließen. Dann würde er das Gefühl haben, eine Tote zu umarmen, und an so etwas wollte er nicht einmal denken.
    »Hallo, Jules…«
    Wie weich ihre Stimme klang, so herrlich lockend. Ja, so hatte er sie in Erinnerung behalten, und daran hatte sich nichts mehr geändert. Er atmete heftig, er pumpte sich regelrecht auf und merkte, daß sich in seinem Hals ein Kloß festsetzte. Er versuchte auch, das Lächeln zu erwidern, nicht mehr als ein Zucken der Mundwinkel kam dabei heraus.
    Ansonsten blieb er stumm, und die Furcht vor Lizzy ließ sich nicht leugnen.
    »Du sagst ja nichts…«
    Er hob die Schultern.
    »Freust du dich nicht?«
    Auch wenn dies der Fall gewesen wäre, er hätte es durch Worte nicht ausdrücken können, denn der Kloß in seiner Kehle machte ihm das Sprechen unmöglich.
    »Sag doch was, Jules…«
    Er schüttelte den Kopf.
    Lizzy lächelte. Sie bog ihren Oberkörper zurück, hob beide Arme an und strich mit den gespreizten Fingern durch ihr Haar. Es war eine laszive Bewegung, und Jules erinnerte sich daran, daß er
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