Die Leichenuhr
cool.
Eiskalt sogar, als sie sich drehte, dabei stöhnte, ihm ebenfalls Worte zuflüsterte, die ihn noch heißer machen sollten. Als sie langsam die Treppe hochstieg, waren ihre Bewegungen weder eckig noch abgehackt, sondern gleitend. Als würde sie trotz des schweren Gewichts über den Stufen schweben.
Jules Vangard hörte sich atmen. Aus seinem Mund floß der Luftstrom über die Wangen der Frau wie ein warmer Wind. Er hatte die Erlebnisse der nahen Vergangenheit vergessen. Für ihn gab es nur noch diese Frau, deren Brüste ihn bei jeder Bewegung noch mehr in Rage brachten.
Er wollte sie lieben! Hier und jetzt, auf der Treppe. Er versuchte schon, ihr Kleid in die Höhe zu schieben. Darunter war sie nackt. Seine Hände sollten über die Seidenhaut hinwegstreichen, die Flamme der Leidenschaft war zu einer Fackel geworden.
Er wunderte sich selbst darüber, welche Vergleiche ihm durch den Kopf fuhren, doch er sah ihr Lächeln nicht. Lizzy hatte den Kopf zur Seite gedreht, damit sie an Jules vorbeischauen konnte. Ihre Augen waren verdreht, denn in diesem Augenblick interessierte sie einzig und allein die Uhr. Sie setzte ihn ab.
Nicht einmal fest, sondern so sacht, daß Jules es kaum merkte. Beide standen neben der Uhr, und Lizzy stellte mit einem schnellen Blick fest, daß sich der Zeiger weiterbewegt hatte.
Nur noch fünf Minuten…
Es wurde Zeit!
»Komm!« flüsterte sie ihm zu. »Komm endlich…«
Er schluchzte auf, obwohl er nur Atem holen wollte. »Wo denn… wo soll ich denn…?«
»Hier!«
Dieses eine Wort traf ihn. Es riß den Vorhang der Gefühle auseinander.
Jules erwachte wie aus einem Traum, er atmete heftig, und über sein Gesicht tanzte nicht allein der Widerschein der Kerzen, sondern auch die roten, hektischen Flecken, die seine Erregung bei ihm hinterlassen hatten. Niemand würde sie hier stören, und er war plötzlich froh, ihre Warnung mißachtet zu haben.
Lizzy Lamotte griff zu. Sie tat es raffiniert und geschickt. Plötzlich kippte er zur Seite, lag im nächsten Moment quer auf ihren Armen, war unsicher. Ihr Gesicht schwebte wie eine lächelnde Zeichnung über dem seinen. Dieser Ausdruck beruhigte sie ungemein, und sie hatte den Mund geöffnet, damit sie tief einatmen konnte.
»Es ist so wunderbar mit dir!« flüsterte sie Jules entgegen und er ließ sich gern durch ihre Worte einlullen.
Es machte ihm auch nichts aus, daß sie einige Schritte mit ihm ging, er blieb gern auf den Armen liegen, nur als sich ihre Bewegungen veränderten, weil sie die Sprossen einer Leiter anstieg, da sah alles anders aus. »Was tust du?«
»Ich bringe ihm den Beweis meiner Liebe.« Er überlegte.
Lizzy ging weiter.
Endlich konnte er seine Frage in Worte fassen. »Wem willst du einen Beweis deiner Liebe bringen?«
Ihre Stimme schnurrte. »Das wirst du gleich sehen. Er bekommt ihn immer wieder zwischen Mitternacht und dem Ende der ersten Tagesstunde. Du brauchst keine Angst zu haben, du bist nicht der erste.«
Der erste?
Die Frage brandete in seinem Kopf. Sie füllte sein Gehirn aus. Der Mund öffnete sich, denn plötzlich hatte er Angst bekommen und wollte sie hinausschreien.
Diesmal erinnerte er sich an das Flammenkreuz, an die brennenden Männer und an das Lachen der Hexe.
Hexe?
»So, jetzt wirst du es erleben. Die Uhr ist dein Schicksal. Sie wird für mich und ihn da sein. Luzifer freut sich…«
Der junge Mann begriff nicht viel. Er merkte nur, daß er noch höher schwebte, und es gelang ihm, den Kopf nach rechts zu drehen. So stark, daß er direkt nach unten schauen konnte.
Zwei spitze Pfeile ragten ihm entgegen!
Die Zeiger!
Noch ein Ruck.
Ein Uhr!
In dem Moment – es war wirklich der allerletzte – ließ Lizzy ihr Opfer fallen.
Sie schaute zu, sie freute sich, in ihren Augen tanzten Funken. Sie lauschte dem fürchterlichen Todesschrei, der wie Musik in ihren Ohren klang, und sie lachte dann in die Stille hinein, die der abgebrochene Schrei hinterlassen hatte.
Luzifer würde zufrieden sein, und auch die Uhr hatte wieder einmal ein Opfer bekommen…
***
Der Morgen begann mehr als trübe, aber es gab einen Kaffee, der mir schmeckte.
Ich trank ihn aus einer Blechtasse, die zugleich meine Handflächen wärmte. Über der Tasse waberte heißer Dampf und stieg mir in die Nase. Eine alte Frau hatte den Kaffee gekocht und sogar die Kanne neben mich gestellt.
Tom kaute auf einer Scheibe Brot. Er hatte kaum einen Schluck von der braunen Brühe getrunken und sich lieber auf seinen
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