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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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vergangen.«
    Bevor sie hinunterging, rief Lena bei Sascha an. Er nahm sofort ab.
    »Was ist weg? Eine Dose Talkumpuder?« fragte er. »Ich verstehe. Geht ihr schon mal zur Hotelleitung, ich bin in einer halben
     Stunde da.«
    Die Empfangschefin, eine pummelige junge Dame in einem strengen Kostüm und mit fast weiß gefärbtem Haar, das sich wie Schlagsahne
     auf ihrem Kopf türmte, begriff lange nicht, worauf sie hinauswollten.
    »So eine Beschwerde höre ich zum erstenmal«, sagte sie. »Es ist doch gar nichts weggekommen. Ja, wenn Geld oder Schmuck verschwunden
     wären. In den Hotelregeln steht aber auch schwarz auf weiß: Für Wertsachen, die in den Zimmern gelassen werden, übernimmt
     die Hotelleitung keine Haftung. Auf Russisch und auf Englisch. Aber eine Dose Talkumpuder ist ja wohl nicht so besonders wertvoll.«
    Sascha betrat das Foyer. Sofort verstummte die Empfangschefin.
    »Frag sie, wo das Büro des Direktors ist«, sagte Michael erzürnt. »Ich habe nicht vor, die Sache auf sich beruhen zulassen. Eine Dose Talkumpuder kostet zwar nur fünfzehn Dollar, aber ich will nicht in einem Hotel wohnen, wo man in meinen
     Sachen herumwühlt. Ich habe schon mehr als zwanzig Länder bereist, aber so etwas erlebe ich zum erstenmal.«
    Lena übersetzte. Die Empfangschefin blickte sie mit haßerfüllten Augen an.
    »Sagen Sie Ihrem Ausländer, daß er keinerlei Beweise hat. Niemand weiß, wie das Zeugs in Ihren Taschen gelegen hat. Seinen
     Puder kann er auch in Moskau oder sonstwo liegengelassen haben«, zischte sie durch die Zähne. »Das Büro des Direktors ist
     über den Flur die dritte Tür links. Aber er ist erst nach dem Mittagessen wieder da.«
    »Gut«, sagte Lena, »nach dem Mittagessen kommen wir zurück. Wir haben uns das nicht ausgedacht. Und Sie müssen doch wohl zugeben,
     daß es nicht angenehm ist, wenn jemand in Ihren Sachen und Ihrer Unterwäsche herumwühlt.«
    »Ich verstehe Sie ja.« Die Empfangschefin wurde etwas freundlicher. »Aber wenn Ihnen irgend etwas Wertvolles abhanden gekommen
     wäre, dann hätten wir die Zimmermädchen auf Ihrer Etage überprüft und mit der Etagenaufsicht gesprochen. Aber so, wegen einer
     Dose Talkumpuder … Das begreife ich nicht!«
    »Wir sind heute wieder den ganzen Tag unterwegs!« Michael war nicht so leicht zu besänftigen. »Wer gibt uns die Garantie,
     daß sich das nicht wiederholt?«
    Lena haßte derartige Auseinandersetzungen. Es fiel ihr leichter zu schweigen, als sich zu streiten. Für diese wasserstoffblonden
     Dämchen war das Teil ihres Berufs, sie stritten sich gekonnt und mit Vergnügen, und fast immer behielten sie die Oberhand.
     Wäre Michael nicht gewesen, hätte sich Lena überhaupt nicht an die Empfangschefin gewandt. Sie wußte im voraus, wie das Gespräch
     ausgehen würde.
     
    Im Büfett auf der dritten Etage war es leer. Sascha bestellte sich eine Riesenportion Rührei mit Schinken und Würstchen mit
     Erbsen. Lena und Michael nahmen Gemüsesalat mit saurer Sahne.
    »Kaffee trinken wir nachher bei mir im Zimmer«, sagte Lena. »Hier gibt es nur die übliche dünne Brühe.«
    »Was ist mit der psychologischen Beratungsstelle?« fragte Sascha leise und beförderte ein halbes Würstchen in den Mund.
    »Ehrlich gesagt, ich glaube, dort wird kaum jemand große Lust haben, mit mir zu sprechen. Wenn die meinen Presseausweis sehen,
     jagen sie mich zum Teufel. Journalisten sind heutzutage nicht besonders beliebt. Ja, wenn ich beim FSB oder beim Innenministerium
     wäre, dann sähe die Sache ganz anders aus.«
    »Was ist denn so Besonderes an diesem Serienkiller?«
    »Mich interessiert nicht die konkrete Person, sondern seine Psyche. Solche Typen werden nur dann erschossen, wenn man sie
     für zurechnungsfähig hält. Aber wie kann ein zurechnungsfähiger Mensch sechs Mädchen zwischen vierzehn und achtzehn Jahren
     ermorden?«
    »Meinst du etwa, man hätte ihn nicht erschießen sollen?« Sascha wischte seinen Teller sorgfältig mit einer Brotrinde sauber
     und steckte sich das Brot in den Mund. »Oder glaubst du, man hat nicht den Richtigen erschossen?« fügte er ganz leise hinzu.
    »Ich glaube«, erwiderte Lena ebenso leise, »zuerst müssen wir herausfinden, wer gestern unsere Taschen durchwühlt und Michael
     eine Dose englischen Talkumpuder gestohlen hat.«
    »Du hast versprochen, daß wir bei dir noch Kaffee trinken«, erinnerte Sascha sie.
    »Richtig, gehen wir. Für dich habe ich noch Erdbeertee«, wandte sie sich auf Englisch an

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