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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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haben, die unentwegt seinen Schritten folgten, um ihm im Nothfall helfend beizuspringen. Ging das in derselben Weise weiter, so gewöhnte sich Kin-Fo offenbar auch an diese neue Lebensart und die Langeweile würde ihn geplagt haben wie vorher.
    Wie viele Stunden entrannen ihm schon, ohne daß er sich im Geringsten daran erinnerte, sozusagen zum Tode verurtheilt zu sein!
    Eines Tages, es war am 12. Mai, verursachte ihm ein Zufall doch wieder einmal eine gewisse Erregung. Als er leise in des Philosophen Zimmer eintrat, bemerkte er, wie dieser die ausgefaserte Spitze eines Dolches mit dem Finger prüfte und sie darauf in ein verdächtiges blaues Glasgefäß eintauchte.
    Wang, dem das Eintreten seines Schülers entgangen war, packte den Dolch fest und schwang ihn mehrmals in der Luft, wie um sich zu überzeugen, ob er ihm gut in die Hand passe. Der Ausdruck in seinem Gesicht ließ dabei das Schlimmste ahnen. Das Blut schien ihm wirklich in die Augen zu treten!
    »Wahrscheinlich die Vorbereitung für den heutigen Tag!« sagte sich Kin-Fo.
    Darauf zog er sich vorsichtig, ungehört und ungesehen, wieder zurück.
    Den ganzen Tag über hielt sich Kin-Fo in seinem Zimmer auf…. Der Philosoph erschien aber nicht.
    Kin-Fo legte sich schlafen; am folgenden Morgen stand er jedoch ebenso lebend auf wie der gesündeste Mensch.
    Alle Aufregung war umsonst gewesen; das wurde allmälich ärgerlich.
    Schon waren zehn Tage verflossen! Freilich hatte Wang zwei Monate Frist zur Ausführung.
    »Es liegt auf der Hand, er spielt mit mir! sagte sich Kin-Fo. Ich habe ihm zweimal zu viel Zeit eingeräumt!«
    Der alte Taï-Ping mochte unter den Annehmlichkeiten Shang-Haïs mildere Sitten angenommen haben, dachte er.
    Seit eben jenem Tage schien Wang indeß sorgenvoller und selbst erregter zu sein. Er ging in dem Yamen aus und ein wie ein Mensch, der nirgends Ruhe findet. Kin-Fo bemerkte sogar, daß der Philosoph wiederholt den Ahnensaal besuchte, in welchem auch der aus Liao-Tcheu gekommene prachtvolle Sarg Platz gefunden hatte. Von Soun hörte er mit einem gewissen Interesse, daß Wang angeordnet habe, das betreffende Möbel sorgsam zu bürsten, zu reiben und abzustäuben, mit einem Wort, es in Stand zu setzen und zu erhalten.
    »Wie sanft wird mein Herr darin ruhen! fügte der treue Diener hinzu. Es sieht aus, als lüde er Sie zum Versuche ein!«
    Diese rührende Bemerkung brachte Soun eine kleine Belohnung ein.
    Der 13., 14. und 15. Mai gingen dahin.
    Alles blieb beim Alten.
    Gedachte Wang vielleicht die ganze Frist verstreichen zu lassen und wie ein Kaufmann seine Schuld erst am Verfallstage, nicht vor dem Termine, quitt zu machen? Dann ging für ihn aber die ganze Ueberraschung und folglich auch die Erregung verloren.
    Da, am 15. Mai des Morgens, zur Zeit der »Mao-che«, das ist in der sechsten Frühstunde, erlitt das gewohnte Einerlei eine recht bezeichnende Unterbrechung.

     
    Er irrte durch enge, dunkle Gassen. (S. 78.)
     
    Kin-Fo hatte eine schlechte Nacht gehabt. Doch beim Erwachen litt er unter dem Drucke eines recht unangenehmen Traumes. Prinz Jen, der oberste Richter der chinesischen Hölle, hatte ihn verurtheilt, nicht eher vor ihm zu erscheinen, als bis der zwölfhundertste Mond über das Himmlische Reich aufstiege. Ein Jahrhundert sollte er noch leben, ein ganzes volles Jahrhundert!
     

    »Die Vorbereitung für den heutigen Tag,« sagte sich Kin-Fo. (S. 79.)
     
    Kin-Fo war sehr mißgestimmt, es schien sich ja Alles gegen ihn zu verschwören.
    In derselben üblen Laune empfing er auch Soun, als dieser sich wie gewöhnlich zur Hilfeleistung bei der Morgentoilette einstellte.
    »Geh’ zum Teufel! herrschte er den Diener an. Zehntausend Fußtritte mögen Dein Lohn sein, Du…
    – Aber, bester Herr….
    – Pack’ Dich, sag’ ich Dir!
    – Nein, entgegnete Soun bestimmt, wenigstens nicht eher, als bis ich Ihnen mitgetheilt habe….
    – Was willst Du?
    – Daß Herr Wang….
    – Wang? Was ist mit Wang? fragte Kin-Fo rasch, indem er Sonn am Zopfe packte. Was hat Wang gethan?
    – Lieber Herr! heulte Soun, der sich wie ein Wurm krümmte, er hat uns beauftragt, den Sarg des Herrn nach dem Lusthaus des langen Lebens zu schaffen….
    – Das hat er gethan! rief Kin-Fo, dessen Stirn sich erheiterte. Geh’, Soun, geh’, mein Freund! Doch halt, hier hast Du noch zwei Taëls, aber sorge dafür, daß Wang’s Anordnungen pünktlich befolgt werden!«
    Auf’s höchste verwundert, ging Soun von dannen.
    »Mein Herr ist entschieden

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