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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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übergeschnappt, wiederholte er sich mehrmals, aber er leidet wenigstens an einer freigebigen Tollheit!«
    Nun konnte Kin-Fo kaum noch zweifeln. Der Taï-Ping gedachte ihn in jenem Pavillon des langen Lebens umzubringen, in dem er zuerst selbst den Tod hatte suchen wollen. Es war, als hätte er ihm dort ein Stelldichein zugesagt. Er wollte es sicher nicht verfehlen. Die Katastrophe nahte nun raschen Schrittes.
    Wie lang erschien dieser Tag dem armen Kin-Fo! Das Wasser der Uhren floß gar nicht mit der gewöhnlichen Schnelligkeit. Die Zeiger schlichen zögernd über das Nephrit-Zifferblatt.
    Endlich verschwand mit der ersten Wache die Sonne unter dem Horizont und allgemach ward es Nacht rings um den Yamen.
    Kin-Fo begab sich nach dem Lusthause, das er lebend nicht wieder zu verlassen hoffte. Er streckte sich auf einen weichen, zum langen Ausruhen wie geschaffenen Divan und wartete der weiteren Dinge.
    Da kam ihm noch einmal die Erinnerung an seine nutzlos verbrachten Tage in den Sinn, die Langeweile, der Widerwille, welche sein Reichthum nicht hatte besiegen können, und welche die Armuth nur vermehren mußte.
    Ein einziger hellerer Punkt schimmerte in diesem düsteren Lebensbilde, das trotz seiner Schätze für ihn ohne Reiz gewesen war – seine Neigung für die junge Witwe! Dieses Gefühl erregte ihm noch das Herz, eben als es bald seine letzten Schläge thun sollte. Aber die arme Le-U mit ihm unglücklich zu machen – – niemals!
    Die vierte, der neuen Morgenröthe vorhergehende Wache, während der alles Leben entschlummert zu sein scheint, diese vierte Wache verlief für Kin-Fo in fast ängstlicher Erregung. Er lauschte erwartungsvoll auf jedes Geräusch. Seine Augen drangen durch das Dunkel. Er horchte gespannt auf den leisesten Laut. Mehr als einmal glaubte er zu hören, wie eine vorsichtige Hand die Thür öffnete. Ohne Zweifel hoffte Wang, ihn eingeschlummert zu finden und so ihn umbringen zu können.
    Da erwachte in seinem Innern ein recht eigenthümliches Gefühl. Er fürchtete und wünschte gleichzeitig die drohende Erscheinung des Taï-Ping.
    Mit der fünften Wache bleichte das junge Tageslicht die Tiefen des Zeniths. Nach und nach ward es hell um ihn.
    Plötzlich öffnete sich die Thür des Salons.
    Kin-Fo schnellte in die Höhe, er hatte in dieser letzten Secunde mehr gelebt als alle übrigen Jahre vorher!….
    Da stand Soun vor ihm, mit einem Briefe in der Hand.
    »Sehr eilig!« sagte einfach der Diener.
    Kin-Fo überlief eine Ahnung. Er ergriff den Brief, der den Poststempel von San-Francisco trug, zerriß den Umschlag, durchflog ihn raschen Blickes und stürmte aus dem Pavillon des langen Lebens fort.
    »Wang! Wang!« rief er laut.
    In einem Augenblick stand er vor der Zimmerthür des Philosophen und stieß dieselbe hastig auf.
    Wang war nicht da. Wang hatte gar nicht in dem Yamen geschlafen, und als Kin-Fo’s Leute auf seinen Ruf hin die ganze Wohnung durchsucht hatten, gewann man die Ueberzeugung, daß Wang – spurlos verschwunden sei.
Zehntes Capitel.
In welchem Craig und Fry dem neuen Clienten der »Hundertjährigen« officiell vorgestellt werden.
    »Ja, ja, Herr Bidulph, ein einfaches Börsenmanöver, ein richtiger amerikanischer Puff!« sagte Kin-Fo zu dem General-Agenten der Versicherungs-Gesellschaft.
    Der ehrenwerthe William J. Bidulph lächelte mit Kennermine.
    »Und wahrlich ein wohlgelungener, antwortete er, denn alle Welt glaubte daran.
    – Selbst mein Correspondent! fügte Kin-Fo hinzu. Es war nichts mit der Einstellung der Zahlungen, nichts mit dem Concurs, mein Herr, nichts als falsche Nachrichten! Acht Tage später bezahlte man an den Schaltern. Das Geschäft war gemacht. Die um achtzig Procent entwertheten Actien wurden von der Centralbank selbst wieder aufgekauft, und als man den Director fragte, was bei dem Concurs herauskommen werde, antwortete er schmunzelnd: – »175 Procent!« So meldet mir mein Correspondent in einem heute Früh eingetroffenen Briefe, eben als ich mich für vollständig ruinirt hielt….
    – Wo Sie eben Hand an sich legen wollten? rief William J. Bidulph.
    – Nein, erklärte Kin-Fo seelenruhig, aber wo ich eben ermordet zu werden hoffte!
    – Ermordet!
    – Mit meiner schriftlich hinterlassenen Einwilligung, ein verabredeter, beschworener Mord, der Ihnen….
    – Der uns zweimalhunderttausend Dollars gekostet hätte, da jede Art des Todes versichert war. O, wir würden Sie gewiß aufrichtig betrauert haben, werther Herr….
    – Für den Betrag der

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