Die Leiden eines Chinesen in China
William J. Bidulph glaubte jedoch in seinen Vorsichtsmaßregeln nicht weit genug gehen zu können.
Wiederum vergingen mehrere Tage ohne Aenderung der Sachlage. Dagegen erreichte man jedoch, daß viele kurze Annoncen, in denen man nach amerikanischer Manier nur »Wang! Wang! Wang!« und daneben »Kin-Fo! Kin-Fo! Kin-Fo!« las, erst die allgemeine Aufmerksamkeit und dann eine ebenso allgemeine Heiterkeit erregten.
Man schüttelte sich vor Lachen bis in die entferntesten Provinzen des Himmlischen Reiches.
»Wo ist Wang?«
– Wer hat Wang gesehen?
– Wo wohnt Wang?
– Was macht Wang?
– Wang! Wang! Wang!« riefen die kleinen Chinesen auf allen Straßen.
Aehnliche Fragen waren bald in Aller Munde.
Aber auch Kin-Fo, der würdige Chinese, »der den lebhaften Wunsch hegte, hundert Jahre alt zu werden«, der an Langlebigkeit mit dem berühmten Elephanten wetteifern wollte, dessen zwanzigstes Lustrum eben in den Ställen des Palastes von Peking seinem Ende nahte, auch er wurde natürlich bekannt bei Groß und Klein.
»Nun, wie steht’s mit Herrn Kin-Fo? Nimmt er an Alter zu?
– Wie befindet sich der brave Mann?
– Verdaut er denn noch gut?
– Wird man ihn noch im gelben Kleide der Greise zu sehen bekommen?« 1
So überbot sich Alles in Witzeleien, die Mandarinen vom Civil und Militär, die Händler von der Börse, die Kaufleute in ihren Comptoirs, das Volk auf den Straßen und Plätzen, wie die Bootsleute auf ihren schwimmenden Städten.
Sie sind sehr lustig und bissig, diese Chinesen, und man wird zugeben, daß hier einiger Stoff für sie vorlag. Da gab es nun Scherze jeder Art und selbst Carricaturen, welche sogar in das Privatleben des Helden hinübergriffen.
Zu seinem großen Mißvergnügen mußte Kin-Fo die Uebelstände dieser eigenthümlichen Berühmtheit ertragen. Man ging sogar so weit, ihn nach der Melodie »Man-Tchian-Hung«, d.h., der Wind, der durch die Weiden geht«, zu besingen. Zuletzt erschien gar noch eine Posse, welche »die fünf Wachen des Hundertjährigen« in Scene setzte, und bei ihrem verheißenden Titel zu drei Sapeken das Stück reißenden Absatz fand.
Wenn Kin-Fo sich erregte über den Lärmen, den sein Name verursachte, so war William J. Bidulph dagegen in hohem Grade damit zufrieden; Wang blieb aber trotzdem jedem Auge verborgen.
Diese Verhältnisse wurden nun allmälich so auf die Spitze getrieben, daß es Kin-Fo kaum noch aushalten konnte. Ging er aus, so begleitete ihn ein Haufen Chinesen jeden Alters und Geschlechts durch die Straßen nach den Quais, selbst über die concessionirten Territorien und weithin durch die Umgebungen. Kehrte er heim, so sammelte sich eine Menge Witzbolde nicht der feinsten Sorte vor der Thür des Yamen.
Jeden Morgen mußte er auf dem Balkon seines Hauses erscheinen, um den Beweis zu liefern, daß seine Leute ihn nicht vorzeitig in den Kiosk des langen Lebens niedergelegt hatten. Die Zeitungen veröffentlichten spöttischer Weise Bulletins über seine Gesundheit mit ironischen Bemerkungen, als gehörte er der regierenden Dynastie der Tsing an. Mit einem Worte, er wurde vollkommen lächerlich.
Eine Folge davon war, daß der vexirte Kin-Fo eines Tages, am 21. Mai, den ehrenwerthen William J. Bildniph aufsuchte und ihm seine Absicht mittheilte, sofort abreisen zu wollen.
Er hatte von Shang-Haï und dessen Bewohnern sozusagen genug.
»Damit laufen Sie vielleicht aber weit mehr Gefahr! bemerkte ihm sehr richtig der General-Agent.
– Das gilt mir gleich! erwiderte Kin-Fo. Treffen Sie danach Ihre Maßregeln.
– Wohin gedenken Sie zu gehen?
– Der Nase nach!
– Und wo wollen Sie bleiben?
– Nirgends.
– Wann gedenken Sie zurückzukehren!
– Niemals!
– Und wenn ich Nachricht von Wang erhalte?
– Ach, zum Teufel mit Wang! O, über die dumme Idee, dem Menschen jenen albernen Brief zu geben!«
Im Grunde verlangte Kin-Fo nach nichts mehr als danach, den Philosophen wiederzufinden. Sein Leben in den Händen eines Anderen zu wissen, dieser Gedanke fing nach und nach an, ihn zu beherrschen. Allmälich verstärkte sich die fixe Idee. Noch einen Monat unter solchen Verhältnissen auszuharren, das hätte er nie über sich gebracht! Das Lamm wurde endlich zum Tiger!
»Nun gut, so reisen Sie ab, sagte da William J. Bidulph, Craig und Fry werden Ihnen folgen, wohin Sie auch gehen.
– Wie es Ihnen beliebt, doch versichere ich Ihnen im voraus, daß Sie zu laufen haben werden.
– Das werden sie, bester Herr, sie können laufen und sind
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