Die Leiden eines Chinesen in China
nicht die Leute dazu, die Beine zu schonen!«
Kin-Fo kehrte nach seinem Yamen zurück und traf sofort alle Vorbereitungen zur Abreise.
Soun – ein abgesagter Feind jeder Ortsveränderung – sollte, zu seinem größten Leidwesen, seinen Herrn begleiten. Er wagte jedoch keinen Einspruch, der ihm gewiß ein gutes Stück seines Zopfes gekostet hätte.
Craig-Fry waren als echte Amerikaner jeden Augenblick zu einer Reise bereit, und wenn es an’s Ende der Welt gegangen wäre. Sie stellten nur eine einzige Frage:
»Wohin wird… sagte Craig.
– Der Herr gehen? setzte Fry hinzu.
– Zuerst nach Nang-King und nachher zum Teufel.«
Auf den Lippen Craig-Fry’s erschien gleichzeitig ein und dasselbe Lächeln.
Sie waren Beide entzückt. Zum Teufel! Was hätte ihnen mehr Vergnügen machen können? Sie beeilten sich also, von dem ehrenwerthen William J. Bidulph Abschied zu nehmen und noch chinesische Kleidung anzulegen, um auf der bevorstehenden Fahrt durch das Himmlische Reich die Aufmerksamkeit Anderer weniger auf ihre Person zu lenken.
Eine endlose Straße mit ungeheueren Thiergestalten (S. 100.)
Eine Stunde später kehrten Craig und Fry, einen Handkoffer an der Seite und den Revolver im Gürtel, nach dem Yamen zurück.
In der Dämmerung verließen Kin-Fo und seine Begleiter geräuschlos das amerikanische Territorium und schifften sich auf dem Dampfer ein, der den Dienst zwischen Shang-Haï und Nan-King versieht.
Diese Reise gleicht mehr einem Spaziergange. Binnen zwölf Stunden kann ein Steamer unter Benützung der Fluth den Blauen Fluß bis zur alten Hauptstadt des mittleren Chinas hinaufdampfen.
Während der kurzen Ueberfahrt sorgten sich Craig und Fry weniger um ihren kostbaren Kin-Fo, nachdem sie die Passagiere alle genau in Augenschein genommen hatten. Sie kannten ja den Philosophen – welcher Bewohner der drei Territorien hätte auch die gute sympathische Erscheinung nicht gekannt – und überzeugten sich, daß er nicht mit am Bord sei. Nichtsdestoweniger widmeten sie dem Clienten der »Hundertjährigen« doch alle mögliche Aufmerksamkeit, untersuchten die Schanzkleidung, auf die er sich vielleicht stützte, prüften erst mit den Füßen die Stufen, welche jener betrat, hielten ihn fern von den Feuerungsanlagen, wo ihnen die Kessel gefährlich erschienen, ermahnten ihn höflich, sich nicht dem scharfen Abendwinde auszusetzen, um sich bei der feuchten Luft nicht zu erkälten, wachten darüber, daß die kleinen Lichtpforten seiner Cabine hermetisch verschlossen waren, schalten auf Soun, den nachlässigen Diener, der niemals bei der Hand war, wenn sein Herr ihn verlangte, vertraten wohl auch selbst seine Stelle, um den Thee und das Abendbrot zu serviren, und schliefen endlich vollkommen angekleidet vor der Thür der Cabine Kin-Fo’s mit dem Rettungsgürtel um die Hüften, um jenem Hilfe leisten zu können, wenn der Dampfer in Folge einer Explosion oder Collision in den dunklen Wellen des Stromes versinken sollte. Es geschah aber nichts, was die unbegrenzte Bereitwilligkeit Craig-Fry’s auf eine ernsthafte Probe gestellt hätte. Das Dampfboot lief rasch auf dem Wusung hinab, glitt in den Yang-tse-Kiang oder Blauen Fluß hinüber, passirte die Insel Tson-Ming, ließ die Leuchtfeuer von Ou-Song und Langhan hinter sich, fuhr mit der Fluth stromauf durch die Provinz Kiang-Su und landete am 22. früh seine Passagiere heil und gesund am Quai der alten kaiserlichen Hauptstadt. Sonn hatte es nur den beiden Leibwachen zu verdanken, daß sein Zopf während der Fahrt sich nicht noch weiter verkleinerte. Der Faulpelz hatte also gewiß keine Ursache, sich zu beklagen.
Kin-Fo begab sich, als er Shang-Haï verließ, nicht ohne Grund zuerst nach Nan-King. Er glaubte einige Aussicht zu haben, den Philosophen hier zu entdecken.
Er trat näher und las. (S. 100.)
Wang konnte sich in der That durch seine aus früherer Zeit herrührenden Erinnerungen nach dieser unglücklichen Stadt, dem Ausgangs-und Mittelpunkte der Empörung der Tchang-Mao, hingezogen fühlen. Wurde sie nicht erobert und vertheidigt von jenem bescheidenen Schulmeister, dem furchtbaren Rong-Sieou-Tsien, der sich zum Kaiser der Taï-Ping aufschwang und die Autorität der Mantschu so lange in Schach zu halten wußte? Proclamirte derselbe nicht von hier aus die neue Aera des »Großen Friedens«? 2 Nahm er nicht hier im Jahre 1864 das tödtliche Gift, um seinen Feinden nicht lebend in die Hände zu fallen? Entwich nicht aus dem hiesigen
Weitere Kostenlose Bücher