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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Grabe, das den Gründer der Ming-Dynastie umschloß?
    Der Hügel war leer, der Tempel verlassen. Niemand bewachte dieselben als gewaltige, kaum aus dem Marmor herausgemeißelte Kolosse und jene phantastischen Thiergestalten, welche die lange Straße bevölkerten.
    Ueber der Thür des Tempels bemerkte Kin-Fo aber zu seiner Verwunderung einige Zeichen von fremder Hand und neueren Ursprungs. Er trat näher und las die drei Buchstaben:
     
    W. K.-F.
     
    Wang! Kin-Fo! Kein Zweifel, der Philosoph hatte diese Stelle unlängst besucht.
    Ohne etwas zu äußern, sah sich Kin-Fo überall um… Niemand! Gegen Abend kehrten Kin-Fo, Craig, Fry und Soun, der kaum noch die Füße erschleppen konnte, nach dem Hôtel zurück und am nächsten Morgen hatten Alle Nan-King verlassen.
Fußnoten
    1 Jeder Chinese, der das achtzigste Jahr erreicht, erhält damit das Recht, einen gelben Rock zu tragen. Da Gelb die Farbe der kaiserlichen Familie ist, so betrachtet man jene Erlaubniß als eine dem Alter dargebrachte Huldigung.
     
    2 Uebersetzung des Wortes Taï-Ping.
Zwölftes Capitel.
In dem Kin-Fo, seine beiden Akolythen und sein Diener planlos in die Welt hinausziehen.
    Wer ist jener Reisende, den man auf allen schiffbaren und fahrbaren Straßen, auf allen Kanälen und Strömen des Himmlischen Reiches dahineilen sieht? Er zieht weiter und weiter und weiß am Abend noch nicht, wo er sich des Morgens befinden wird. Er fliegt durch die Städte, ohne sie anzusehen, rastet in Hotels und Gasthäusern nur, um wenige Stunden zu schlafen, und betritt die Restaurants nur, um schnell eine Mahlzeit einzunehmen. Mit dem Gelde geizt er nicht; er verschwendet es, ja, er wirst es weg, um sein Fortkommen zu beschleunigen.
    Ein Kaufmann, der seine Geschäfte betreibt, ist das nicht. Ein Mandarin ist es nicht, den die Regierung etwa mit einer wichtigen und eiligen Sendung betraut hätte. Ein Künstler ist es nicht, der die Reize der Landschaften aufsucht. Auch kein Gelehrter, der seine Vorliebe für alte Documente zu befriedigen strebt, welche in den Bonzerien und Lamanerien des alten China vergraben liegen. Ein Studirender ist es ebenfalls nicht, der etwa zur Pagode der Prüfungen reiste, um sich die höchsten Grade zu erwerben, so wenig wie ein Priester Buddha’s, der das Land durchstreift, um die kleinen, zwischen den Wurzeln des geheiligten Banyanbaumes errichteten ländlichen Altäre zu inspiciren, noch endlich ein Pilger, der vielleicht in der Erfüllung eines den fünf heiligen Bergen Chinas gethanen Gelübdes begriffen wäre.
    Es ist eben der falsche Ki-Nan in Begleitung Craig’s und Fry’s, welche immer munter ausharren, und Soun’s, dessen Kräfte mehr und mehr zur Neige gehen. Es ist Kin-Fo in der sonderbaren Gemüthsstimmung, die ihn den verschwundenen Wang gleichzeitig zu fliehen und aufzusuchen drängt. Es ist der Client der »Hundertjährigen«, der bei diesen unaufhörlichen Kreuz-und Querzügen nichts Anderes sucht als das Vergessen seiner Lage und vielleicht eine Garantie gegen die unsichtbaren Gefahren, von denen er sich bedroht glaubt. Der beste Schütze kann ja ein in Bewegung befindliches Ziel verfehlen, und Kin-Fo sucht dieses Ziel zu sein, das nie zur Ruhe kommt.
    Von Nan-King aus hatten die Reisenden einen jener schnellsegelnden amerikanischen Dampfer benutzt, jener schwimmenden Hôtels, welche auf dem Blauen Flusse verkehren. Sechzig Stunden später landeten sie in Ran-Keu, ohne selbst den eigenthümlichen Felsen, den »Kleinen Waisenknaben«, bewundert zu haben, der mitten aus der Strömung des Yang-tse-Kiang emporsteigt und dessen Gipfel ein von Bonzen bedienter Tempel krönt.
    In Ran-Keu, am Zusammenflusse des Yang-tse-Kiang und dessen wichtigsten Nebenarmes, des Ran-Kiang, 1 hielt sich der umherirrende Kin-Fo nur einen halben Tag lang hier auf. Auch hier erinnerten traurige Ruinen an das entsetzliche Treiben der Taï-Ping; doch weder in dieser handelsthätigen Stadt, welche freilich nur einen Annex zu der auf dem rechten Ufer des erwähnten Nebenflusses erbauten Bezirksstadt Ran-Yang-Fu darstellt, noch in U-Tchang-Fu, der am rechten Ufer des Stromes gelegenen Hauptstadt der Provinz Ru-Pe, hatte der flüchtige Wang eine Spur seiner Anwesenheit hinterlassen. Auch jene Buchstaben fanden sich nicht wieder, die Kin-Fo bei Nan-King an dem Grabtempel des gekrönten Bonzen gesehen hatte.
    Wenn Craig und Fry jemals leise hofften, bei dieser Reise durch China die Sitten der Bewohner oder den Charakter der Städte näher kennen zu

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