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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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benützen, um außer Gesichtsweite zu kommen.
    Es war jetzt gegen zehn Uhr Abends. Der Mond sollte kurz vor Mitternacht über den Horizont emporsteigen. Man hatte also keinen Augenblick zu verlieren.

    »Fort, unter Segel!« mahnten Craig-Fry.
    Sofort setzte man sich in Bewegung. Die Sache ging ganz einfach. Auf den starken Sohlen des rechten Fußes jedes Apparates befand sich eine Dille zur Aufnahme des als Mast dienenden Stockes.
    Kin-Fo, Soun und die beiden Agenten streckten sich lang auf den Rücken aus; dann zogen sie durch eine Beugung des Knies den Fuß an sich und befestigten den Stock in der Dille, nachdem sie vorher die Hißleine des kleinen Segels durch eine Oese an dessen oberen Ende gesteckt hatten. Sobald sie den Fuß wieder ausstreckten, erhob sich der Stock, der nun einen rechten Winkel mit dem Körper bildete, senkrecht in die Höhe.
    »Gehißt!« commandirten Craig-Fry.
    Alle zogen mit der rechten Hand die Leine an und brachten damit das kleine dreieckige Segel an seine Stelle.
    Die Leine ward hierauf am Metallgürtel des Apparates befestigt, die Schote hielt man in der Hand, und die, die vier Focksegel aufblähende Brise trieb nun die kleine Flottille von Skaphandern unter leichtem Wirbeln des Wassers dahin.
    Verdienten diese »Menschenschiffe« nicht mit mehr Recht den Namen von Skaphandern als die unter dem Wasser thätigen Arbeiter, denen man ihn gewöhnlich beilegt?
    Zehn Minuten später schon manövrirte Jeder mit vollkommener Sicherheit und Leichtigkeit. Alle »flossen« neben einander hin, ohne sich je zu entfernen. Man hätte eine Gesellschaft ungeheurer Seemöven vor sich zu haben geglaubt, welche mit ausgespannten Flügeln leicht über die Wasserfläche hinglitten.
    Der Zustand des Meeres begünstigte übrigens diese Fahrt außerordentlich. Keine Sturzwelle, kein schäumender Wasserberg unterbrach die langsame, ruhige Bewegung an der Oberfläche.
    Nur zwei-oder dreimal schluckte der ungeschickte Soun, der auf Craig’s und Fry’s Ermahnungen nicht hörte, einen tüchtigen Mund voll des salzigen bitteren Wassers, das er indeß bald wieder erbrach. Uebrigens machte ihm das den geringsten Kummer, aber die Hals, die gefräßigen Räuber des Meeres, wenn sie nur nicht gewesen wären!
    Man belehrte ihn, daß er sich einer geringeren Gefahr aussetze, wenn er in horizontaler Lage verharrte. Der Rachen des Hals ist nämlich so geformt, daß dieser sich stets umwenden muß, um eine Beute zu erschnappen, und das wird ihm nicht leicht, wenn er einen wagrecht schwimmenden Gegenstand zu erlangen sucht. Außerdem will man beobachtet haben, daß diese Thiere, wenn sie sich auch gierig auf unbewegte Körper stürzen, doch vor solchen, die nicht an der Stelle bleiben, einigermaßen zurückschrecken. Sonn mußte sich also entschließen, unausgesetzt zu rudern, und er ruderte aus Leibeskräften, das läßt sich wohl denken.
    So segelten die Skaphander eine Stunde lang dahin. Eher durften sie nicht ruhen, da die Dschonke noch zu sehr in der Nähe war; länger konnten sie aber die Spannung des Segels, das jetzt ein frischerer Wind schwellte, nicht ertragen, da auch das Wasser etwas unruhiger geworden war.
    Craig-Fry commandirten zu »stoppen«. Man ließ die Schoten schießen und die Flottille hielt an.
    »Fünf Minuten Pause, wenn es Ihnen gefällig ist, wendete sich Craig an Kin-Fo.
    – Recht gern!«
    Alle außer Soun, der aus Vorsicht ausgestreckt blieb und weiter zappelte, nahmen wieder eine aufrechte Stellung an.
    »Noch ein Gläschen Branntwein? fragte Fry.
    – Mit Vergnügen!« antwortete Kin-Fo.
    Für den Augenblick genügten ihnen einige Tropfen einer stärkenden Flüssigkeit. Von Hunger spürten sie noch nichts. Eine Stunde vorher, bevor sie die Dschonke verließen, hatten sie zu Abend gegessen und konnten wohl bis zum Morgen warten. Sich zu erwärmen, erschien auch unnöthig. Die Luftschicht zwischen ihrem Körper und dem Wasser schützte sie ja vor jeder Abkühlung. Die Normaltemperatur ihres Körpers war seit der Abfahrt gewiß nicht um einen Grad gesunken.
    Und hatte man die »Sam-Yep« noch immer in Sicht?
    Craig und Fry drehten sich um. Fry nahm aus seinem Beutel ein Nachtfernrohr und prüfte sorgsam den ganzen Horizont im Osten.
    Er sah nichts! Nicht einen jener kaum bemerkbaren Schatten, den sonst die Schiffe auch am dunklen Himmel zu erzeugen scheinen. Uebrigens war die Nacht pechschwarz, etwas dunstig und fast sternenlos. Die Planeten bildeten am Himmel nur eine Art Nebelfleck.

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