Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
müssen.
Vielleicht würden sie ihn ja sogar als einen der ihren akzeptieren – ein Straßenräuber in gestohlener Kleidung. Oder aber sie würden ihm eins über den Schädel geben und sich am Inhalt seiner Manteltaschen bedienen.
Semjon kicherte und kaufte sich stattdessen lieber eine kleine Fleischpastete, die er in Sekunden hinunterschlang, um sich nach dem Genuss recht unelegant, aber mit ausgesprochenem Vergnügen die Fingerspitzen abzulecken.
Danach verließ er den Marktplatz. Aber nicht, ohne einen Schilling in eine schmutzige Handfläche zu werfen, die sich ihm aus einem düsteren Hauseingang entgegenstreckte. Als ein junges Küchenmädchen und ein fetter Koch mit leeren Körben den Hauseingang betraten, nickte er ihnen kurz zu.
Nachdem er eine Weile gegangen war, stellte Semjon fest, dass er direkt in die Richtung vom Haus der Congreves lief. Nur noch ein paar Minuten Fußweg, und er würde davorstehen.
Und Wunder über Wunder – als er dort ankam, drang aus den Fenstern tatsächlich noch Licht. Den letzten Feiernden wurde gerade in ihre Sänften und Kutschen geholfen, während Congreve und seine weitaus jüngere Frau sie vom obersten Absatz der imposanten Außentreppe verabschiedeten.
Als die Eingangstür sich endlich schloss, hörte er deutlich, wie Penelope ihrer Anstrengung mit einem «Na, endlich!» Luft machte.
Semjon lächelte. Als er eine Hand an den Hals führte, um seine Krawatte zu einem ordentlich aussehenden Knoten zu binden, fiel ihm auf, dass er vergessen hatte, sie anzulegen. Er sah nach unten. Sein Hemd hing halb aus der Hose, und sein offener Mantel flatterte im kühlen Wind, der über die Themse strich. Zumindest seine Kniehose saß ordentlich.
Congreve raunte seiner Frau ein paar beruhigende Worte zu, die Semjon aber nicht recht verstehen konnte. Plötzlich hörte er, wie die Herrin des Hauses seinen Namen rief, und er schaute auf.
«Mr. Taruskin! Was tun Sie denn hier? Ich dachte, Sie wären schon längst gegangen.»
«So war es auch, Mrs. Congreve.» Er fuhr sich in dem fruchtlosen Versuch, seine Erscheinung etwas gepflegter wirken zu lassen, durch die Haare. «Aber ich konnte nicht schlafen, und da habe ich mich entschieden, einen Spaziergang zu machen. Und dabei bin ich zufällig auch hier vorbeigekommen.»
«Einen Spaziergang? Um diese Zeit? Sind Sie denn verrückt geworden? Kommen Sie doch rein, und trinken Sie einen Sherry mit uns. Es ist sicher auch noch etwas von dem Aspik und diversen Scheiben Fleisch da. Und dann schicken wir Sie bei Tagesanbruch wieder nach Hause», schlug sie vor.
Auch ihr Gatte schaltete sich schließlich ein. «Ja, kommen Sie. Wir können sowieso erst schlafen, wenn die Sonne aufgeht. Sie holen sich ja den Tod, wenn Sie bei dieser Kälte weiter auf dem Kopfsteinpflaster herumstehen.»
Semjon zögerte. Eigentlich hatte er gehofft, zu dieser frühen Stunde einer Küchenmagd des Hauses zu begegnen und sie diskret über Angelica und auch die Congreves auszuhorchen. Aber jetzt, wo das Paar ihn sogar persönlich eingeladen hatte, wäre er doch ein Narr, diese Freundlichkeit nicht zu seinem Vorteil auszunutzen.
Als er die Stufen hinaufeilte, stellte er voller Missfallen fest, dass in Penelope Congreves glänzenden Augen ein unverstellter Ausdruck der puren Lust geschrieben stand.
«Sie sehen wirklich aus, als wären Sie gerade aus dem Bett gestolpert, Mr. Taruskin», sagte sie mit einer gewissen Bewunderung in der Stimme. «Das zersauste Haar und die geröteten Wangen. Und Ihre Kleider – herrjemine, was für ein romantischer Anblick. Seufzt jetzt gerade vielleicht irgendwo eine junge Dame befriedigt in ihre Kissen?»
«Nein, Mrs. Congreve.»
«Sie können es mir ruhig sagen. Wer ist es?», fragte sie und schwebte durch die Tür ins Innere des Hauses. Ihr schnaufender Gatte folgte ihr auf dem Fuß, schien aber eindeutig gelangweilt von ihrem Geschnatter.
Semjon hoffte inständig, sie würde ihre Flirtversuche einstellen. Es war auch so schon schwierig genug, zumindest eine kurze Frage bezüglich des hübschen Dienstmädchens fallenzulassen, das sich um die Umhänge und Mäntel gekümmert hatte. Penelope war einfach zu schlau, um ihn nicht sofort zu durchschauen.
«Kommen Sie, kommen Sie», lud Congreve ihn freundlich ein und schob Semjon förmlich durch die Tür, als dieser weiterhin zögerte.
Er nickte und folgte dem Paar in die Eingangshalle. Das Dienstmädchen, das sich ebenfalls in der Eingangshalle aufhielt, konnte kaum noch auf
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