Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
erhaschen oder zwischen all dem Lärm irgendwo ihre sanfte Stimme zu hören. Nach einer Weile entschuldigte er sich unter einem Vorwand und beugte sich in der Parodie eines galanten Kusses über Penelopes Hand. Dabei gab er sich große Mühe, seine Lippen nicht wirklich auf ihre Pergamenthaut zu pressen. Glücklicherweise war die Hausherrin recht betrunken und schien seinem Verhalten gegenüber völlig gleichgültig zu sein.
Als Semjon sich wieder aufrichtete, sah er, dass Mr. Congreve auf einem Stuhl zusammengesunken war. Der Schlaf hatte ihn übermannt – wie einen betagten Herrn, der zu viel Sherry getrunken hatte und zu lange aufgeblieben war.
Noch während Semjon ihn betrachtete, klappte der Mund des alten Mannes auf, sodass man deutlich die fleischige Zunge in seiner Mundhöhle liegen sehen konnte. Und er begann laut zu schnarchen.
«Da sehen Sie, womit ich mich herumschlagen muss.» Penelope wischte sich eine Träne von der Wange.
Sie tat sich zweifellos selbst leid. Aber auch wenn sie vielleicht allen Grund dazu hatte, ließen ihre Tränen Semjon völlig kalt. Schließlich war er immer noch weit davon entfernt, seine Göttin zu finden. Und auf der Suche nach ihr das ganze Haus auf den Kopf zu stellen war schließlich kaum möglich.
«Ja. Ich möchte meinen, er ist müde. Genau wie wir alle. Ich muss jetzt gehen, Mrs. Congreve», erklärte er mit fester Stimme.
«Sind Sie sicher?», fragte sie leise.
«In der Tat.» Er befreite sich von dem überraschend festen Griff, mit dem sie ihn am Arm festhielt, und bot ihr stattdessen ein Kissen an. Mit einem breiten Gähnen, das jeden einzelnen ihrer gepflegten, kleinen Zähne offenbarte, warf sie sich auf das Kissen und schaute kokett zu ihm auf.
Semjon trat voller Eile den endgültigen Rückzug an, überließ die Congreves sich selbst und schloss die Tür zur Bibliothek hinter sich.
Auf dem Weg zur Eingangstür dachte er noch, wie gut es war, keinen Hut getragen zu haben, den er dann in seiner Eile vielleicht in der Bibliothek vergessen hätte. Als er sich in den Räumen zu seiner Rechten ein letztes Mal nach Angelica umschaute, entdeckte er stattdessen Jack.
Der Diener, der seine Livree gegen gröbere Arbeitskleidung getauscht hatte, um den anderen Dienstboten beim Möbelrücken zu helfen, warf ihm einen besorgten Blick zu und nahm ihn schließlich beiseite.
«Sir, dürfte ich Sie wohl kurz sprechen?»
Semjon wusste sofort, dass die Sorge des Mannes Angelica galt.
«Ja, natürlich.» Er ließ sich von ihm in eine Nische führen, wo keiner der vorbeieilenden anderen Dienstboten sie hören oder sehen konnte. «Was ist denn?»
«Unsere Miss Harrow ist fort, Sir. Nachdem Sie gegangen waren, ist es mir nicht gelungen, sie zu wecken. Und als ich eine Stunde später noch mal nach ihr schaute, da war sie nicht mehr da.»
«Was? Haben Sie das Haus abgesucht?» Er musste den Klang seiner Stimme kontrollieren und seine instinktive Angst um die schöne Frau unterdrücken, die er so sehr begehrte. War vielleicht ein anderer Mann auf sie gestoßen, während sie schlummernd dalag?
«Natürlich. Sonst wäre ich ganz sicher nicht zu Ihnen gekommen», erwiderte Jack. «Sie ist nicht in ihrer Dachkammer, und keine der anderen Frauen hat sie gesehen. Eine von ihnen sagte mir, dass die Herrin außer sich sei, weil Angelica nicht da war, um die Mäntel wieder auszugeben. Ich habe gehört, es gab ein wahnsinniges Durcheinander.»
«Vergessen Sie das, Mann. Meinen Sie, Angelica wurde vielleicht entlassen und ist deshalb fort?»
«Nein. Ihre Habseligkeiten liegen immer noch in der Kammer. Es fehlt nichts. Nur sie ist fort. Und dieselbe Frage habe ich auch schon einigen anderen Dienstboten gestellt. Wäre sie wirklich entlassen worden, hätte irgendjemand doch davon gehört. Mrs. Congreve ist sehr enthusiastisch, wenn es um eine Szene oder wildes Rumbrüllen geht. Ihr Gatte kann da auch nichts ausrichten. Sie tut, was ihr gefällt.»
«Mh. Das will ich meinen, dass ihr Gatte da nichts ausrichten kann», murmelte Semjon.
Der Diener zuckte nur mit den Schultern, als wären die Congreves ihm im Moment völlig gleichgültig. «Den beiden wäre es auch egal, wenn Angelica für immer verschwinden würde. Irgendwas scheint mir an der Sache faul zu sein. Aber was es ist, kann ich auch nicht sagen. Es sieht Angelica so gar nicht ähnlich. Sie war immer freundlich zu anderen und hätte sich sicher irgendeiner mitfühlenden Seele anvertraut. Mir hätte sie jedenfalls bestimmt
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