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Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)

Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)

Titel: Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noelle Mack
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Luft an und lauschte, ob nicht irgendwo der leise Atem eines anderen Menschen zu hören war. Doch abgesehen von einigen Geräuschen, die von draußen zu ihr drangen, war nichts zu hören.
    Immerhin wusste sie, dass sie sich noch in London befand, denn sie konnte deutlich die grobschlächtigen Rufe der Straßenhändler hören. Auch einen Pferdewagen erkannte sie, denn der Kutscher brüllte seinem Pferd die schlimmsten Schimpfwörter zu, von denen man kaum glauben mochte, dass sie zur englischen Sprache gehörten.
    Trotzdem hätte sie natürlich überall sein können. Schließlich kam es oft vor, dass gute Gegenden direkt neben den etwas raueren Stadtvierteln lagen. Angelica würde jedenfalls nicht zum Fenster eilen und um Hilfe rufen. Sie war ja nicht mal sicher, ob sie sich allein in dem Raum befand.
    Sie schien neben einem hohen Bett mit Mahagonirahmen zu liegen, in dessen Pfosten Spiralen eingraviert waren und dessen Seidenbaldachin der Stolz jeder Pariser Halbweltdame gewesen wäre.
    Die Fenster des Raumes waren ganz in ihrer Nähe. Die Tür, oder auch die Türen, die sie nicht sehen konnte, schienen allerdings weiter weg zu sein. Sie sah sich um und betrachtete jedes einzelne Detail der teuren, aber irgendwie auch geschmacklosen Einrichtung. Von den mit kleinen Quasten versehenen Ecken des Baldachins hingen winzig kleine Putten herunter, die an einen Schwarm fliegender Moskitos erinnerten.
    Das anrüchige Dekor war luxuriös und hatte etwas überaus Sinnliches. Aber der bizarre Kontrast zu dem nüchternen Raum, in dem sie zuvor eingesperrt war, sorgte für zusätzliches Unbehagen bei Angelica. Mittlerweile war sie immerhin überzeugt, dass sie allein in diesem Zimmer war, und blieb genau dort liegen, wo sie war.
    Vorerst.
    So wie sie ihren Stiefbruder kannte, hatte er bestimmt einen scheußlichen Grund gehabt, dieses hübsche Gefängnis für sie zu wählen. Was ausgeklügelte und kunstvolle Grausamkeiten anging, war Victor Broadnax nicht zu übertreffen.
    Seine Pläne oder das, was er als Nächstes tun könnte, ließen sie erschaudern, aber sie zwang sich, ihre Ängste zu unterdrücken. Dann dachte sie mit einem Mal an die eiserne Manschette an ihrem Knöchel und rollte sich zusammen, um danach zu greifen. Doch auch die Manschette war fort. Angelica rieb sich die wunden Stellen, die immerhin bewiesen, dass sie überhaupt fixiert gewesen war. Dabei fühlte sie sich die ganze Zeit, als würde sie sich in einem Wachtraum befinden.
    Die junge Frau zog sich dichter an das Bett heran, hob den Kopf und ließ ihren Blick über die Tagesdecke in den Raum wandern. Zwar sah sie niemanden, aber es gelang ihr endlich, die Stelle auszumachen, wo sich die Tür befand. Gleichzeitig sagte sie sich, dass sie ganz sicher abgeschlossen sein würde.
    Doch der einzige Weg nach draußen führte nun mal durch diese Tür oder die Fenster. Der Winkel, in dem das Sonnenlicht in den Raum drang, und der Klang der entfernten Stimmen von der Straße verrieten ihr, dass sie sich wahrscheinlich in einer der höheren Etagen aufhielt. Nachdem sie sich geräuschlos an einem der Bettpfosten aufgerichtet hatte, tat sie ein paar schwere Schritte in Richtung des nächsten Fensters.
    Glücklicherweise wurde jedes eventuelle Knarren der Holzdielen von dem Teppich verschluckt, auf dem sie gelegen hatte. Gut und schön.
    Angelica stand seitlich neben den hauchdünnen Vorhängen und sah hinunter auf das Eisengeländer, das den knappen Platz zwischen Haus und Straße umgab.
    Dort stand ein stämmiger Kerl, der seine dicken Finger hinter dem Rücken umklammerte. Er trug einen schweren Mantel mit hochgeschlagenem Kragen und einen unscheinbaren Hut. Die Passanten schauten ihn ab und zu an und eilten an ihm vorbei. Angelica selbst konnte sein Gesicht nicht erkennen.
    Diese Seite des Hauses war also bewacht. Und der Hintereingang zweifellos auch. Sie schaute die unter ihr liegende Straße auf und ab, konnte aber immer noch nicht sagen, wo sie sich befand. Aber schließlich hielt sie sich auch noch nicht allzu lange in London auf.
    Die Häuser schienen neu zu sein, sahen irgendwie aber auch recht schmucklos aus – fast so, als wären sie fertig gebaut auf irgendeinem ehemaligen Feld in den Außenbezirken von London gewachsen. Die Gebäude standen dicht an dicht zusammen. Es gab keine Gassen oder einen freien Platz dazwischen, sodass eine unbeobachtete Flucht kaum möglich war. Und auch das schlichte weiße Kleid, das sie schon in dem kleinen, stickigen Raum mit

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