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Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)

Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)

Titel: Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noelle Mack
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Nacht.»
    Semjon hielt kurz inne, um seine Willenskraft darauf zu konzentrieren, seinen Wolfsblick zu aktivieren. Dazu wandte er sein Gesicht von Jack ab, damit der Diener nicht mitkriegte, wie die Farbe seiner Pupillen sich in ein glühendes Gelb verwandelte. Dann näherte er sich mit langsamen Schritten einer der Wände, wo er schwach ausgeprägte, längliche Kratzspuren erkannt hatte.
    Ja. Er roch tatsächlich ihren Duft unter dem anhaltenden Verwesungsgeruch, dessen Ursprung er sich nicht recht erklären konnte – auch wenn Jack darauf hingewiesen hatte, dass am heutigen Abend viele Menschen in diesem kleinen Raum ein und aus gegangen waren.
    Semjon starrte konzentriert auf die Wand. Die Kratzer stammten von feinen, weiblichen Fingernägeln, und ihm war sofort klar, dass diese Spuren von ihr stammten. Vielleicht war Angelica gegen die Wand geprallt und hatte sie im darauffolgenden Niedersinken mit ihren Fingernägeln zerkratzt. War sie etwa über den Mantelhaufen gestolpert, nachdem sie endlich aufgestanden war? Er hatte auch die Möglichkeit, in Erwägung zu ziehen, dass ihr gar nichts Schlimmes widerfahren war und sie sich einfach nur aus dem Staub gemacht hatte. Das leuchtete nämlich durchaus ein, wenn man an die Spannungen zwischen ihr und ihrer Herrin dachte.
    Dass sie vielleicht mit einem unbekannten Liebhaber getürmt war – die Rose in ihrer Hand bereitete ihm immer noch Kopfzerbrechen –, war jedenfalls keine Möglichkeit, über die er nachdenken wollte.
    Plötzlich stieß er mit der Seite seines Stiefels gegen etwas Hartes. Semjons Blick schnellte nach unten.
    Er erkannte sofort das Buch, das sie als Unterlage benutzt hatte, um seinen Namen auf einen Zettel zu schreiben, den er dann in seiner Tasche gefunden hatte. Semjon bückte sich, um das Buch aufzuheben, und schlug es auf.
    Ein paar Seiten schienen erst vor kurzem herausgerissen worden zu sein. Dort, wo sie einst eingebunden gewesen waren, hingen jetzt nur noch ein paar dünne Leinenfäden. Semjon führte das Buch zu seiner Nase und atmete sofort den unverkennbaren Geruch von Angst ein. Ihre Hände waren schwitzig gewesen, und ihr Körper hatte einen namenlosen Schrecken verströmt, den nur er spüren konnte.
    Für Jack und für alle anderen war das, was er da in der Hand hielt, nichts weiter als ein Buch. Semjon blätterte blitzschnell durch die anderen Seiten, um zu sehen, ob jemand vielleicht in verzweifelter Hast etwas hingekritzelt hatte. Nein. Da war nichts.
    Das Buch war nicht allzu groß, sodass er es unbemerkt in seine Tasche stecken konnte. Dabei berührte er das kleine Stück Papier, an das er bis eben gar nicht mehr gedacht hatte. Das Stück Papier, auf dem sein Name stand.
    Nachdem Jack in nicht allzu weiter Ferne geschäftige Geräusche gehört hatte, war er wieder zurück auf den Flur getreten. Semjon führte jetzt auch das kleine Stück Papier zu seiner Nase, um herauszufinden, ob es genauso roch wie die Seiten des Buches.
    Von der weiblichen Hand, die den Zettel berührt hatte, war auch ein Geruch wahrzunehmen, aber dieser hatte rein gar nichts Angsterfülltes an sich.
    Nein, er war rein und lieblich. Allein aufgrund dieser Tatsache wusste Semjon, es war eine durchaus angenehme Erfahrung für sie gewesen, ihn zu sehen. Voller Sorgfalt studierte er die elegante Handschrift. Auf dem Zettel stand nur sein Name. Aber der war mit so ausgesprochener Sorgfalt notiert worden, er spürte genau, dass es ihr Freude gemacht hatte, ihn niederzuschreiben. Und diese Erkenntnis ließ eine gewisse Hoffnung in ihm aufkeimen.
    So wenig, woran er sich halten konnte. So viel, was er in Erfahrung bringen musste. Wo immer sie sich in dieser vor Menschen wimmelnden Stadt auch aufhielt, er würde sie finden. Und er würde sich voller Brutalität jedermann annehmen, der ihr wehtat.
    Semjon steckte das kleine Stück Papier wieder zurück zu dem Buch in seiner Tasche und trat hinaus auf den Flur zu Jack.
    «Hier ist nichts weiter zu finden», erklärte er mit Bestimmtheit.

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    Kapitel Drei
    Angelica hatte Mühe, die Augen aufzuschlagen. Sie wusste nur, dass ihre Wange sich gegen etwas presste, was wie Wolle kratzte. Nachdem sie sich etwas aufgerichtet hatte, sah sie sich vorsichtig um. Man hatte sie in einem anderen Raum auf den Boden gelegt. Doch diesmal fanden sich weder polierte noch schmutzige Stiefel in der Nähe ihres Gesichts.
    Wartend – auch wenn sie nicht recht wusste, worauf sie eigentlich wartete – hielt sie die

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