Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
den Mänteln getragen hatte, machte es ihr unmöglich, unbemerkt zu entkommen. Als Angelica an sich hinabschaute, stellte sie zu allem Übel fest, dass sie auch noch barfuß war.
Plötzlich hörte sie schwere Schritte, die sich näherten, dann aber innehielten. Ihr schien, als würde es sich um zwei Paar Füße handeln, die in fast perfektem Gleichklang voranschritten, aber sicher war sie sich dessen keineswegs. Als sie mit einem Mal allerdings hörte, wie zwei metallene Gegenstände leise aufeinandertrafen, wurde ihr sehr schnell klar, dass irgendjemand einen Schlüssel in das Schloss der Tür geschoben hatte. Und als der Schlüssel nach einer weiteren Sekunde wieder entfernt wurde, drehte der Türgriff sich auf dieselbe verstohlene Weise.
Angelica wich zurück und versuchte, sich hinter den Vorhängen zu verstecken, wusste aber, dass es gar keinen Zweck hatte, sich hinter den hauchdünnen Stoffbahnen zu verbergen. Aber im schlimmsten Fall könnte sie von diesem Platz aus immerhin die Fenster einschlagen und springen. Sie blickte erneut nach unten.
Angelica schätzte, dass sie sich in der dritten Etage befand. Sie würde bei einem Sprung also ernsthafte Verletzungen von sich tragen und vielleicht sogar auf dem Eisengeländer aufgespießt werden. Der Wachmann würde ihren zerschmetterten Körper schnell davontragen, und irgendjemand würde ein hübsches Sümmchen für das Schweigen versehentlicher Zeugen zahlen.
Nachdem der sich langsam drehende Türgriff seine letzte Rotation hinter sich gebracht hatte, öffnete sich die Tür einen Spalt. Dann schob sich ein schlicht beschuhter Fuß dazwischen, und eine Frau mit einem Tablett betrat den Raum. Sie schien Angelica nicht zu sehen. Allerdings blickte sie sich nicht einmal um, sondern ging sofort zu einem der Tische und stellte dort das Tablett ab. Dabei sagte sie kein Wort.
Nachdem die Frau sich umgedreht und den Raum wieder verlassen hatte, schloss sie die Tür mit einem Schnappen. Ihre schweren Schritte entfernten sich mit jeder Sekunde mehr, bis schon bald nichts mehr außer Stille zu hören war. Angelica begann wieder zu atmen. Ihr wurde sehr schnell bewusst, gar nicht gehört zu haben, wie der Türgriff oder der Schlüssel im Schloss sich wieder gedreht hatte. Warum nur?
Das konnte eigentlich nur eine Falle sein.
Sie würde doch wohl nicht einfach so die Tür öffnen und die Treppen hinunterlaufen können. So einfach konnte es doch nicht sein.
Aber dann wurde die Stille plötzlich erneut unterbrochen, der Türgriff drehte sich, und auch das Schloss wurde wieder versperrt. Irgendjemand auf der anderen Seite der Tür – sie hatte erneut ein weiteres Paar Schritte gehört – zog den Schlüssel wieder aus dem Schloss.
Angelica hätte am liebsten aufgeschrien, um ihre Freiheit gefleht oder sich den Weg nach draußen freigekämpft. Alles wäre besser als dieses unheilvolle Katz-und-Maus-Spiel.
Doch sie konnte nichts tun, als aufmerksam zu lauschen. Die Schritte ihres Entführers entfernten sich und klangen dabei genauso korrekt wie die polierten Stiefel, die er trug.
Sie warf einen erneuten Blick auf das zugedeckte Tablett. Victor wollte also, dass sie etwas aß. Plötzlich fiel ihr das kristallene Gift in der Rose wieder ein, und sie wurde von einer Welle der Übelkeit erfasst. So schwach sie auch war, sie würde keinen Bissen herunterbringen können.
Angelica durchschritt nachdenklich den Raum. Ihre Gemütslage schwankte zwischen nackter Angst und sinnloser Entschlossenheit. Solange Victor sich nicht entschied, mit ihr zu sprechen, würde sie seine Gefangene sein.
Sie setzte sich auf das Bett und brach in Tränen aus.
Als das Sonnenlicht ein paar Stunden später vom Blau der Abenddämmerung verschluckt wurde, entdeckte sie einen gefüllten Wasserkrug, der in einem Waschbecken stand. Sie spritzte sich ein paar Tropfen auf den Arm, um die Flüssigkeit auf Gift zu testen. Doch ihre Haut brannte weder, noch löste sie sich. Es schien sich also wirklich nur um Wasser zu handeln. Angelica tauchte ein Tuch hinein, rieb sich damit das Gesicht ab und kämmte sich dann die Haare.
Sie wusste, Victor würde zu gegebener Zeit schon noch zu ihr kommen – er zog die Nacht grundsätzlich dem Tag vor. Angelica fragte sich, in welcher Verbindung ihr Stiefbruder wohl zu diesem Haus stand und ob es sich vielleicht sogar in seinem Besitz befand. Das Erbe, das er vor kurzem angetreten hatte, wäre für den Erwerb jedenfalls mehr als ausreichend gewesen.
Aber auch wenn
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