Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
bestimmt haben. Und ich bin sicher, mein Mantel hat nichts dagegen, die Zeit bis zu meiner Rückkehr mit ein wenig weiblichem Flitter zu verbringen.»
Ihre einzige Erwiderung auf seinen schalkhaften Scherz bestand aus einem Nicken.
Plötzlich ertappte Semjon sich bei einem heftigen Eifersuchtsanfall auf seinen Mantel. Und das nur wegen der Art, wie sie ihn hielt. Sie hatte ihn nicht zu fest in der Hand, strich geistesabwesend mit einer Fingerspitze darüber und wandte ihren Blick dabei nicht einen Moment von Semjons Gesicht.
Er hatte recht gehabt, ihre Augen waren grün. Die Farbe des Frühlings – in ihrem Fall jedoch von ein paar Schatten durchzogen. Schatten der Angst? Oder Schatten der Trauer? Er vermochte es nicht zu sagen. Ein Gefühl von Irrealität machte sich in seinem Inneren breit und gab ihm das Gefühl, von irgendetwas zu diesem entlegenen Raum gelockt worden und nicht etwa auf seinen eigenen zwei Beinen hierhergekommen zu sein. Und das nur, weil er einem Diener gefolgt war, der seinen gewöhnlichen Pflichten nachgekommen war.
Tatsächlich war er heute Abend nicht aus freien Stücken hierhergekommen. Nein, sein Bruder Marko hatte einfach zu viele auffordernde Andeutungen fallenlassen, als dass man sie hätte ignorieren können. So sollte Kyrill, der Älteste der drei Taruskins, darauf bestanden haben, dass das wolfsblütige Rudel von St. James sich weiterhin in der Öffentlichkeit zu zeigen hatte, während sie sich gleichzeitig um die privaten Angelegenheiten des Königs kümmerten. Angelegenheiten, die in gleichem Maße Diskretion und Brutalität erforderten.
Semjon, der nicht besonders pflichtgetreue Jüngste der Taruskins, hatte schließlich nachgegeben. Aber er hatte in keiner Weise damit gerechnet, sich der unwillkommenen Zuwendungen eines verliebten Mädchens erwehren zu müssen, oder dass ebendiese Bemühungen dazu führen würden, einfach irgendeinen Flur entlangzugehen und hinter einem goldenen Vorhang eine wahre Göttin vorzufinden.
Eine Göttin, die im Moment allerdings die Geduld mit ihm zu verlieren schien.
«Danke, Miss Harrow.»
Sie hob eine ihrer elegant geschwungenen Augenbrauen.
«Angelica, meine ich.» Er drehte sich entschlossen um und schritt den Flur zurück auf die sich nähernden Klänge einer Quadrille zu.
Es dauerte nur eine Stunde, bis er zu ihr zurückkehrte – genau die Zeit, die seiner Einschätzung nach angemessen war, um erneut das Gespräch mit ihr suchen zu können.
Semjon hatte sich vorher nach Jack umgesehen, um sicherzugehen, dass der Diener sie auch diesmal nicht stören würde. Er entdeckte ihn schließlich unter einer Treppe sitzend, wo er zusammen mit Kittredge aus einer kleinen braunen Flasche trank, die zweifellos mit Whiskey gefüllt war. Beide Männer waren rot im Gesicht und lachten.
Der Ball war in vollem Gang und schien sich mittlerweile in eine Art Orgie verwandelt zu haben. Einige der aufgeblasenen Kerle trugen nur noch Westen und Hemden und legten kleine Hüpfer und andere peinliche Schritte zu der immer lauter werdenden Musik aufs Parkett. Dabei wurden sie von den Damen beobachtet, die sich hinter ihren flatternden Fächern verbargen. Die Menge der Gäste, die an den Seiten der Tanzfläche standen, war nahezu unerträglich, und die Tatsache, dass sich viel zu viele Menschen in einem viel zu kleinen Saal vergnügten, widerte Semjon geradezu an.
Niemand würde seine Abwesenheit bemerken. Und eigentlich würde er ja auch gar nicht richtig fort sein. Sollte irgendjemand ihn beobachten, wie er die Tanzfläche verließ – wo er sich pflichtschuldigst von den etwas besseren Tänzerinnen zu ein oder zwei kleinen Tanzrunden hatte überreden lassen –, würde man höchstens annehmen, dass er irgendwo ein paar Gläschen Punsch in sich hineinschüttete oder sich über irgendeiner Balkonbrüstung erleichterte.
Die einzig anwesende Person, die ihn aufmerksam beobachtet hatte, war die verliebte junge Dame mit dem sehnsuchtsvollen Blick gewesen. Und die hatte mittlerweile zusammen mit ihrer Frau Mutter den Ball verlassen. Semjon konnte nur raten, was das Mädchen in ihm sah. Es waren ganz sicher nicht die Gedanken an eine Heirat, die sie umtrieben, sondern vielmehr sein Ruf als Liebhaber. Als begehrten Junggesellen würde man ihn jedenfalls ganz sicher nicht bezeichnen können. Nicht bei dem russischen Namen und den Geheimnissen, die seinen Familienclan umgaben. Da nützte es auch nicht, dass sie sich in einem Haus niedergelassen hatten, das so
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