Die Leidenschaft des Cervantes
Schreibtisch meines verstorbenen Freundes Pedro saß, war mir mehr danach zumute, Liebesgedichte zu schreiben, als mich in das Entziffern seiner Manuskripte zu vertiefen. Oder wenn ich doch ein wenig arbeitete, stieß ich auf eines von Pedros Liebesgedichten, das genau zum Ausdruck brachte, was ich für meine Schönheit aus Esquivias empfand.
Vielleicht hatte Doña Juana recht. Vielleicht war es an der Zeit, dass ich heiratete und Wurzeln schlug. Alles was ich brauchte, um sesshaft zu werden und zu schreiben, war eine verständnisvolle Frau, die die Mittel besaß, uns finanziell zu unterstützen, während ich an dem großen Werk saß, das vor mir lag – und dass es vor mir lag, davon war ich überzeugt. Aber wie realistisch war die Hoffnung, dass sich eine kluge junge Frau guter Herkunft, überdies mit Geld gesegnet, für mich interessierte?
Eines Nachmittags im Oktober konnte Francisco uns wegen einer Erkältung nicht begleiten, doch das Wetter war so mild, dass Doña Catalina uns drängte, die schönen Stunden zu nutzen. Catalina und ich erreichten einen unserer Lieblingsplätze, eine abgelegene Anhöhe im Süden der Stadt, die die Einheimischen nur sehr selten aufsuchten. Bis zu dem Tag hatten Catalina und ich uns heimlich an der Hand gehalten, wenn Francisco mit seiner Suche nach Käfern, die er unter Steinen aufstöberte, abgelenkt war. Um unseren Gliedern nach dem Aufstieg eine Rast zu gönnen, setzten wir uns auf einen Grasflecken unter einer Eiche. Sobald wir allein waren und unsere Hände sich berührten, folgte der erste Kuss, und jedes Gefühl, das bis zu diesem Zeitpunkt unter Verschluss gehalten worden war, wallte übermächtig in uns auf. Die Haut von Catalinas Gesicht und ihr Haar dufteten nach reifen Trauben. Ihren warmen, weichen Lippen fehlte die Erfahrung des Küssens, doch sie verlangten begierig nach meinen, als warteten sie bereits sehr lange auf diesen Moment. Als wir aneinandergepresst auf dem Gras lagen und ich meine Nase zwischen ihren Brüsten vergrub, wusste ich, dass das lodernde Feuer nicht mehr aufzuhalten war. Danach lagen wir keuchend und schweißnass da, und unvermittelt fiel mir das Sprichwort ein, dass man eine Essiggurke in keine Gurke mehr zurückverwandeln kann. Nach dem, was an diesem Nachmittag geschehen war, war das einzig Ehrenhafte, Catalina zu heiraten.
Dass ich doppelt so alt war wie sie, nur einen gesunden Arm hatte, kein Geld in die Ehe brachte und einer nicht gerade gut beleumdeten Familie angehörte, deren Blutsreinheit in Zweifel stand, tat unter den gegebenen Umständen nichts mehr zur Sache. In einem Städtchen wie Esquivias war eine entehrte Tochter der schlimmste Makel auf dem Namen einer angesehenen Familie.
Am 12. Dezember 1584, kaum drei Monate nach unserer ersten Begegnung, wurden Catalina de Salázar und ich von ihrem Großonkel Juan de Palacios in der Kirche Unserer Lieben Frau der Milch zu Mann und Frau getraut. Die Hochzeit fand so kurzfristig statt, dass niemand von meiner Familie aus Madrid anreisen konnte. Abgesehen von Doña Juana und Catalinas Mutter und Brüdern nahmen an der Hochzeit nur noch Rodrigo Mejía, Diego Escribano und Francisco Marcos teil, Nachbarn Doña Catalinas aus Esquivias, die als Trauzeugen fungierten.
Einige Tage vor der Hochzeit überreichte ich Doña Juana ein sauberes und korrigiertes Manuskript von Pedros Gedichten. Zusätzlich zu den zwanzig escudos , auf die wir uns als mein Honorar geeinigt hatten, schenkte sie uns zur Hochzeit weitere zwanzig escudos . Vierzig escudos waren eine hübsche Summe, um unser eheliches Leben zu beginnen.
Die Vorstellung, nach Madrid zurückzukehren, erschien mir regelrecht abstoßend. Fürs Erste war ich mehr als zufrieden, mit meiner schönen jungen Frau in Esquivias zu bleiben. Ich wollte gerne ein Haus mieten, in dem wir unser häusliches Glück leben konnten, das meinem Schreiben zuträglich war, doch Catalina wollte ungern von ihrer Familie wegziehen. »Meine Mutter und meine kleinen Brüder brauchen mich zu sehr, Miguel«, sagte sie. »Unser Haus ist groß genug, wir können auch dort unser eigenes Leben als Mann und Frau führen.«
Wir richteten uns im ersten Geschoss des L-förmigen Familienhauses der Salázars ein. Drei große Räume mit hoher Decke gaben in jede Richtung den Blick auf das Dorf und die manchegische Landschaft frei. Es war ein ruhiger Ort, an dem ich mich gut dem Schreiben hätte widmen können, nur dass ich jetzt, nachdem ich die Katalogisierung von Pedros
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