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Die leise Stimme des Todes (German Edition)

Die leise Stimme des Todes (German Edition)

Titel: Die leise Stimme des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kenlock
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seine Augen waren tiefer geworden, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. Früher hatte man erkannt, dass sie von häufigem Lachen stammten, aber inzwischen waren es Spuren des Alters. Eingegraben in ein charaktervolles Gesicht, das Würde und Intelligenz verriet. Ihr Blick wanderte zu seinem Haar, das an den Stirnecken zurückwich und von einer beginnenden Glatze zeugte.
    „Du siehst müde aus.“
    Überrascht zuckte Katherine zusammen. Sie hatte nicht bemerkt, dass ihr Vater aufgehört hatte zu erzählen und sie seinerseits beobachtete.
    „Ich bin müde. In letzter Zeit ging es im Krankenhaus drunter drüber.“
    Er schüttelte den Kopf. „Das meine ich nicht. Ich sehe eine Art von Erschöpfung, die nichts mit Arbeit zu tun hat. Du wirkst, als wärst du des Lebens überdrüssig. Ich kenne diesen Ausdruck. Bei alten Menschen findet man ihn oft. Aber du ...“ Seine Hände vollführten eine seltsame Geste. Eine Geste, die Hilflosigkeit ausdrückte. „... du bist zu jung dafür. Was ist los?“
    Katherine erschrak. War sie so einfach zu durchschauen? Die angenehme Müdigkeit, die ihren Körper ergriffen hatte, verflog und die Spannung der letzten Tage kehrte zurück.
    „Ich ...“ Die Lüge erstarb in ihrem Mund, bevor sie ausgesprochen werden konnte. Tränen stiegen in ihre Augen, ohne dass sie es hätte verhindern können. Der Kummer suchte sich einen Weg an die Oberfläche, fand keinen Widerstand, und dann brach alles aus Katherine hervor.
    Sie weinte stumm. Ohne Laut. Paul Tallet legte seine Hand auf die ihre, seine Nähe beruhigte Katherine. Schließlich zog sie ein Taschentuch hervor, wischte die Tränen weg und putzte sich geräuschvoll die Nase.
    „Sag, was mit dir ist.“
    Seine Stimme klang wie früher, als sie noch ein Kind gewesen war und geglaubt hatte, die Welt müsse selbst wegen Kleinigkeiten untergehen. Damals hatte er sie in den Arm genommen, ihren kindlichen Sorgen gelauscht und ihr erklärt, dass alles gut werden würde, wenn sie nur fest daran glaubte. Aber die Zeit hatte ihre Beziehung verändert und sie war kein Kind mehr, das blind an die Versprechen der Erwachsenen glaubte. Es gab Dinge, die nie gut werden würden. Und doch, sie wollte ihm von ihren Sorgen erzählen und hoffen, er besitze noch die Macht, die Schatten in die Dunkelheit zurückzudrängen.
    „An meiner Klinik geschehen seltsame Todesfälle. Menschen, die auf eine Transplantation warten, sterben unter merkwürdigen Umständen.“
    „Was für Umstände?“
    Katherine berichtete ihm von Manfred Webers Selbstmord und von Michelle Sarangers Unfalltod. Sie erzählte ihrem Vater, wie sie versucht hatte, der Sache nachzugehen, und von den Schwierigkeiten, die man ihr gemacht hatte. Paul Tallet schwieg, unterbrach Katherine nicht und stellte keine Fragen.
    „Was ich nicht verstehe: Warum sollte jemand diese Menschen umbringen? Was hat er davon?“, endete Katherine.
    Paul Tallet schwieg noch immer.
    „Glaubst du mir nicht?“, fragte sie.
    „Doch. Ich denke nach.“ Langsam zog er sein Weinglas heran und nippte daran. Als er es auf den Tisch stellte, erzeugte es ein schabendes Geräusch, das Katherine zusammenzucken ließ.
    „Ich denke, du hast recht mit deinem Verdacht. Dass zwei Patienten innerhalb so kurzer Zeit einen unnatürlichen Tod sterben, ist merkwürdig. Hast du schon daran gedacht, zur Polizei zu gehen?“
    „Ja, aber das wäre sinnlos. Bis jetzt stützt sich alles auf Vermutungen. Die Polizei würde nichts unternehmen, noch ist alles zu vage, und ich wäre meinen Job los. Mein Vorgesetzter hat mir zu verstehen gegeben, dass ich dem Ansehen der Klinik schade und meine Nachforschungen einzustellen habe.“
    „Also gut. Dann lass uns über ein mögliches Motiv nachdenken. Es muss ein Motiv geben, selbst wenn wir es nicht sehen können.“
    „Ich dachte, ob nicht eine religiöse Sekte oder eine radikale Organisation dahinter stecken könnte?“
    Ihr Vater schüttelte energisch den Kopf. „Nein. Bestimmt nicht.“
    „Was macht dich so sicher?“
    „Es gäbe ein Bekennerschreiben. Derartige Taten wären nur von Nutzen, wenn die Öffentlichkeit erfährt, welche Ziele und Überzeugungen damit verbunden sind. In solch einem Fall ginge es um Aufmerksamkeit. So wie du mir die Fälle beschrieben hast, wirkt es, als versuchten der oder die Täter genau das Gegenteil, nämlich keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es soll aussehen, als wären die Todesumstände vollkommen natürlich. Lass uns in eine andere Richtung nachdenken.

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