Die leise Stimme des Todes (German Edition)
Wer hätte einen Vorteil vom Tod dieser Menschen?“
Katherine ließ sich alles noch einmal durch den Kopf gehen.
„Niemand.“
„Doch. Es gibt jemanden.“
„Wen?“
„Beantworte mir erst eine Frage: Was geschieht mit den Organen, die für Empfänger vorgesehen sind, die vor der Operation sterben?“
„Andere Empfänger erhalten sie. Das heißt, wenn die Transplantationszeit nicht überschritten wurde. Ein Herz kann man nur vier Stunden kühlen und haltbar machen, danach kann es nicht mehr transplantiert werden.“
„Wer organisiert die Vergabe der Organe?“
„EUROTRANSPLANT in Holland. Wenn ein Spender zur Verfügung steht, werden Gewebetypisierungen durch das Labor vorgenommen, das dem Krankenhaus des Spenders am nächsten liegt. Ein Regionalkoordinator informiert Leiden in Holland und übermittelt die Ergebnisse der Blut- und Gewebegruppenuntersuchungen. EUROTRANSPLANT ermittelt dann in seiner Datenbank den bestmöglichen Empfänger, der durch Blutgruppe, Gewebetyp, Krankheitsursache und klinische Dringlichkeit bestimmt wird.“
„Also, wenn EUROTRANSPLANT rechtzeitig vom Tod des vorgesehenen Empfängers erfährt, kann es einen anderen geeigneten Patienten suchen. Richtig?“
„Worauf willst du hinaus?“
„Nun, dann haben wir jemand gefunden, der einen Vorteil vom Tod eines möglichen Empfängers hätte. Es ist derjenige, der ein Organ transplantiert bekommt, das eigentlich für jemand anderen vorgesehen war.“
„Ist das dein Ernst?“, fragte Katherine ungläubig.
„Ja. Betrachte es doch einmal so: Du bist herzkrank, wartest auf ein lebenswichtiges Organ, das jemand anderes bekommen soll, während dir die Zeit davonläuft und du nicht weißt, wie viel dir noch bleibt und ob für dich rechtzeitig ein Spenderorgan bereitsteht. Wie hoch ist die Sterblichkeit bei Patienten, bevor eine Transplantation durchgeführt werden kann?“
„Ich weiß es nicht. In unserer Klinik nicht sonderlich hoch. Wie es woanders aussieht?“ Katherine zuckte mit den Achseln. „Es gibt Untersuchungen, die behaupten, die Sterbeziffer liege bei Herzpatienten bei bis zu fünfzig Prozent, aber das ist nur schwer vorstellbar. Ich vermute, solche Zahlen werden benutzt, um mehr Menschen dazu zu bewegen, einen Organspenderausweis auszufüllen.“
„Fünfzig Prozent? Das klingt hoch. Es würde bedeuten, wenn ich herzkrank wäre, ständen meine Chancen nicht besonders gut, rechtzeitig ein Organ zu bekommen.“
„Deine Theorie ruht auf tönernen Füßen. Zum einen ist es nur schwer vorstellbar, dass da draußen herzkranke Menschen herumlaufen, die andere Herzkranke ermorden, um an die für sie bestimmten Organe heranzukommen. Zum anderen -“
„Das habe ich doch gar nicht gesagt“, unterbrach sie ihr Vater heftig. „Jeder Mord hat ein Motiv, sei es Gier, Eifersucht oder sonst etwas. Und in den Fällen deiner verstorbenen Patienten ist es das einzig logisch erscheinende Motiv.“
„Trotzdem ist es nicht machbar. Niemand, nicht einmal ich, kommt an die Daten von EUROTRANSPLANT heran. Woher sollte ein Täter wissen, dass irgendwo in Europa ein Empfänger mit den entsprechenden Gewebemerkmalen auf eine Transplantation wartet? Hinzu kommt der Zeitfaktor. Ein Herz hat, wie gesagt, eine Konservierungszeit von höchstens vier Stunden. Der Täter müsste den Spender kennen, die Ergebnisse der Gewebetypisierung in Erfahrung bringen und noch schnell den vorgesehenen Empfänger ermorden. Schlichtweg unmöglich.“
„Eine andere Möglichkeit fällt mir nicht ein. Es sei denn ...“
„Was?“
„Du täuschst dich, und die Todesfälle an deiner Klinik sind nichts anderes als das sonderbare Zusammentreffen von Zufällen.“
„Das glaube ich nicht!“, widersprach Katherine heftig.
„Also, was willst du tun?“
„Keine Ahnung“, gab Katherine zu. „Jetzt am Freitag beginnt ein Kongress, an dem ich teilnehme. Also kann ich zunächst nichts unternehmen.“
„Um was geht es?“
„Neue Operationsmethoden aus den USA und den Einsatz von Lasertechnik. ORGANIC, ein führendes Transplantationsklinikum, hat Mediziner aus dem ganzen Land eingeladen. Für mich ist das nicht nur eine Möglichkeit, etwas Neues zu lernen, ich komme endlich aus der Stadt heraus und kann wenigstens für zwei Tage all meine Gedanken und Sorgen hinter mir lassen.“
Die Reisetasche war gepackt und Mark bereit zum Aufbruch. Er hatte beschlossen, die Wohnung sofort zu verlassen. Die andere Seite konnte jederzeit erneut zuschlagen, und es
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