Die leise Stimme des Todes (German Edition)
schätzungsweise drei Minuten dauern. Nicht allzu lang, aber wenn man Angst hatte, entdeckt zu werden, und dringend aufs Klo musste, konnten drei Minuten sich zu einer kleinen Ewigkeit ausdehnen. Katherine tat, was ihr Keller aufgetragen hatte. Ein Balken wurde auf dem Bildschirm eingeblendet, der optisch durch zunehmende Striche und durch eine Zeitangabe aufzeigte, wie weit der Kopiervorgang fortgeschritten war.
„Wo kommen Sie her?“
Die Frage überraschte Katherine dermaßen, dass sie zusammenzuckte. Sie hob den Kopf und blickte direkt in zwei strahlend blauen Augen, die sie freundlich über einen Papierstapel hinweg ansahen.
Noch zwei Minuten dreißig Sekunden.
„Aus München.“
„Vom Universitätsklinikum?“
„Richtig.“
„Sie sind ziemlich jung für eine Ärztin.“
Katherine lachte gezwungen und betete innerlich, dass sie sich natürlich anhörte.
„Das täuscht. Ich bin über Dreißig.“
Ein kurzer Moment des Schweigens entstand. Die Augen der Frau forschten in ihrem Gesicht.
Hat sie etwas bemerkt? Nein, wahrscheinlich nicht. Dann ging Katherine auf, dass die junge Frau einfach nur mit ihr plaudern wollte, um den eintönigen Arbeitstag ein wenig angenehmer zu machen.
Was sage ich jetzt? Ich muss irgendetwas sagen, oder sie wird misstrauisch.
Noch eine Minute fünfundvierzig Sekunden.
„Und Sie? Sind Sie schon lange an der Klinik?“
Was für eine bescheuerte Frage! Katherine hätte sich ohrfeigen können.
„Nein. Erst seit zwei Monaten.“
Eine Minute dreißig Sekunden.
„Gefällt Ihnen die Arbeit?“ Sie hatte diesen Weg eingeschlagen, also musste sie ihn weitergehen, auch wenn jede Frage noch dümmer klang als die vorherige.
Eine Minute fünfzehn Sekunden.
„Ja, macht Spaß. Allerdings ...“ Die Frau beugte sich verschwörerisch über den Schreibtisch, so als müsse sie flüstern. Sie flüsterte tatsächlich.
„Eine meiner Kolleginnen ist ein richtiges Biest und macht mir das Leben schwer. Egal, wie viel Mühe ich mir gebe, immer findet sie etwas zu meckern. Frau Kotter, dass hätten Sie so machen müssen, Frau Kotter, so geht das aber nicht. Blablabla, den lieben, langen Tag nur Nörgelei.“ Das Lächeln blitzte wieder auf. „Sie sitzen übrigens an ihrem Arbeitsplatz. Wenn die alte Hexe das wüsste, würde sie durchdrehen.“
Noch fünfundvierzig Sekunden.
Katherine starrte den Bildschirm an, flehte innerlich, dass die Sekunden schneller verstreichen mochten, aber es half nicht.
Plötzlich waren Schritte auf dem Gang zu hören. Zwei Personen unterhielten sich. Frauen! Ihre Absätze klickten auf dem gefliesten Boden.
Noch dreißig Sekunden.
„Sie müssen sich beeilen. Das klingt nach Frau Sonntag. Wir beide kriegen eine Menge Ärger.“
Noch zwanzig Sekunden!
Dann ging die Tür auf.
„Also, was gibt es so Dringendes, das nicht warten kann?“, herrschte Gaster die Empfangsdame an.
Ulrike Meinert rutschte unruhig auf dem Drehstuhl herum, auf dem sie Platz genommen hatte. Gaster thronte auf der anderen Seite des Schreibtischs wie ein König, der Hof hält. Inzwischen bereute Ulrike, dass sie ihn aufgesucht hatte. Gaster war schlechter Laune, und sie verspürte keine Lust, als Blitzableiter für ihn herzuhalten. Aber jetzt war es zu spät, sie musste da durch, auch wenn sie am liebsten aus dem Büro geflohen wäre. Gasters zu Schlitzen verengte Augen fixierten sie. Ulrike nahm ihren ganzen Mut zusammen.
„Sie sollten sich das ansehen.“
Sie schob ihm den Computerausdruck zu. Gaster beachtete ihn nicht.
„Warum sind Sie nicht zu Sanden gegangen?“
„Er führt im Augenblick die Kongressteilnehmer durch die Klinik. Ich war der Meinung, es sei besser, keine Zeit zu verlieren.“
„Sie machen mich neugierig.“ Gaster nahm endlich den Ausdruck in die Hand.
„Bitte sehen Sie sich die Daten der zwei Ärzte an, die ich markiert habe. Sie stimmen exakt überein – alle persönlichen Angaben, wie Geburtstag, Studium, Arbeitsantritt am Klinikum, sind identisch. Das kann kein Zufall sein.“
Gaster glotzte auf die eng beschriebene Seite. Sein Magen zog sich zusammen.
Dr. Marcel Widmer, Universitätsklinikum München.
Dr. Mark Keller, Universitätsklinikum München.
In Gasters Kopf begannen sich die Gedanken zu jagen. Konnte es sein? War Dr. Mark Keller etwa der Mark Keller? Oder war das Ganze nur ein merkwürdiger Zufall?
Die Daten der beiden aufgeführten Ärzte deckten sich vollkommen. Sie waren eindeutig gefälscht! Das bedeutete: Mark
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