Die Leopardin
motorisiertes Fahrrad, dessen kleiner Motor durch das Treten der Pedale gestartet wurde.
Franck fragte sich, ob Weber inzwischen von der Vereinbarung erfahren und den Technikern befohlen hatte, ihnen die Fahrzeuge zu verweigern. Hoffentlich nicht: In einer halben Stunde wurde es hell, und ihm fehlte die Zeit für weitere Auseinandersetzungen. Aber dann gab es glücklicherweise keine Schwierigkeiten. Franck und Hesse streiften sich Arbeitskittel über und fuhren los. Das Moped nahmen sie im Laderaum mit.
Sie fuhren nach Reims und parkten den Wagen in einer Seitenstraße der Rue du Bois. Hesse stieg aus, ging zurück zum Haus und warf den Briefumschlag mit dem Foto von Flick in den Briefkasten. Helicopters Schlafzimmer lag auf der Rückseite des Hauses; es bestand kaum die Gefahr, dass er Hans sehen und ihn später wiedererkennen würde.
Als sie ihren Lieferwagen in der Stadtmitte, hundert Meter von Michel Clairets Domizil entfernt, am Straßenrand abstellten, ging bereits die Sonne auf. Hesse stieg aus, öffnete einen Kabelschacht der Post, spielte den Arbeiter und behielt dabei das Haus genau im Auge. Es war eine geschäftige Straße, in der viele Autos parkten; der Postwagen fiel daher nicht sonderlich auf.
Dieter Franck blieb im Fahrzeug sitzen, sodass man ihn nicht sah, und grübelte über den Krach mit Weber nach. Der Mann war strohdumm, aber seine Argumente waren nicht von der Hand zu weisen. Franck wusste, dass er ein hohes Risiko einging. Helicopter konnte ihm entkommen – und damit wäre die heiße Spur erloschen. Die leichtere, bewährte Methode wäre, Helicopter zu foltern. Andererseits: Ihn laufen zu lassen war zwar riskant, aber auch sehr vielversprechend. Wenn alles nach Plan verlief, war der Mann Gold wert. Allein der Gedanke daran, dass er möglicherweise kurz vor einem triumphalen Erfolg stand, ließ Francks Puls schneller schlagen.
Sollte die Sache allerdings schief gehen, würde Weber sie schamlos ausschlachten und aller Welt verkünden, dass er den riskanten Plan von Anfang an abgelehnt hatte... Aber Dieter Franck wollte sich nicht über interne Abrechnungen dieser Art den Kopf zerbrechen. In seinen Augen waren Männer wie Weber, die sich auf solcherlei Spielchen einließen, die verachtenswertesten Kreaturen der Welt.
Allmählich wurde es lebendig in der Stadt. Frauen auf dem Weg zur Bäckerei gegenüber Michel Clairets Haus waren die Ersten, die auf der Straße auftauchten. Der Laden hatte noch geschlossen, doch die Frauen stellten sich geduldig an, warteten und schwatzten miteinander. Brot war rationiert, aber Franck vermutete, dass es manchmal auch einfach nicht für alle reichte. Also gingen pflichtbewusste Frauen schon früh am Morgen zur Bäckerei, um sicherzustellen, dass sie ihre Ration auch wirklich bekamen. Als die Tür endlich geöffnet wurde, versuchten sie alle gleichzeitig, sich hindurchzuzwängen – ganz anders als deutsche Hausfrauen, die ordentlich Schlange gestanden hätten. Jedenfalls bildete sich Franck dies mit einem gewissen Überlegenheitsgefühl ein. Als er die ersten Frauen mit ihren Brotlaiben aus der Bäckerei herauskommen sah, merkte er, dass er noch nicht gefrühstückt hatte.
Nach den Frauen erschienen auch die Männer auf der Straße. Sie trugen Stiefel und Baskenmützen, und alle hatten sie einen Beutel oder eine billige Bakelitdose mit ihrem Mittagessen dabei. Als Heli- copter schließlich auftauchte, waren gerade die ersten Kinder auf dem Schulweg. Der Agent kam mit dem Fahrrad, das Marie gehört hatte. Franck setzte sich auf. Im Fahrradkorb lag ein rechtwinkliger Gegenstand, der mit einem Stück Stoff bedeckt war – vermutlich der Funkkoffer.
Leutnant Hesse steckte den Kopf aus dem Schacht und beobachtete den Agenten.
Helicopter klopfte an Michel Clairets Tür – natürlich erfolglos. Eine Zeit lang blieb er auf der Stufe vor dem Eingang stehen, dann spähte er durch die Fenster. Zum Schluss ging er auf dem Bürgersteig ein paar Schritte auf und ab und suchte nach einem Hintereingang, den es jedoch, wie Franck wusste, nicht gab.
Den nächsten Schritt hatte er Helicopter selbst empfohlen: »Gehen Sie in die Bar Chez Regis weiter unten in der gleichen Straße. Bestellen Sie sich dort Kaffee und Brötchen und warten Sie.« Franck hoffte, dass die Resistance, in Erwartung eines Emissärs aus London, Michel Clairets Haus beobachtete. Er rechnete nicht mit einer Bewachung rund um die Uhr, sondern eher damit, dass sich vielleicht ein Resistance-Sympathisant
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