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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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unter den Nachbarn bereit erklärt hatte, ein bisschen auf das Haus zu achten. Helicopters offenkundige Arglosigkeit hätte den Beobachter beruhigt. An der Art, wie der Besucher herumlief, war für jedermann erkennbar, dass es sich bei ihm weder um einen Gestapo-Mann noch um ein Mitglied der Milice handelte, der französischen Sicherheitspolizei. Dass die Resistance über kurz oder lang auf den Plan gerufen werden und folglich früher oder später jemand auftauchen und Kontakt zu Helicopter aufnehmen würde, stand für Dieter Franck außer Frage, und er hoffte, dass eben diese Kontaktperson ihn dann direkt ins Herz der Resistance führen würde.
    Eine Minute später tat Helicopter genau das, was Franck ihm vorgeschlagen hatte. Er radelte zu der besagten Bar, setzte sich an einen der Tische auf dem Trottoir und tat so, als genieße er die Sonne. Er bestellte und bekam seine Tasse Kaffee – zweifellos Ersatzkaffee aus geröstetem Getreide – und trank sie mit gut gespielten Genuss. Nach etwa zwanzig Minuten ließ er sich eine zweite Tasse Kaffee kommen und holte sich in der Bar eine Zeitung, die er dann mit großer Aufmerksamkeit las. Er hatte offenbar viel Geduld, so als wäre er darauf eingestellt, notfalls den ganzen Tag zu warten. Das war gut.
    Der Vormittag zog sich in die Länge, und Franck plagten erste Selbstzweifel. Vielleicht war die Bollinger-Gruppe durch das Gemetzel von Sainte-Cecile dermaßen dezimiert worden, dass es schlichtweg niemanden mehr gab, der auch nur die einfachsten Aufgaben erfüllen konnte. Für ihn, Franck, wäre es ein deprimierender Rückschlag, wenn Helicopter ihn nicht zu anderen Untergrundkämpfern führte – und für Weber ein enormer Triumph.
    Die Zeit verging, und allmählich musste Helicopter ein Mittagessen bestellen, wenn er weiterhin an seinem Tisch sitzen bleiben wollte. Ein Kellner kam, sprach mit ihm und brachte ihm wenig später einen Pastis. Der konnte auch nur ein synthetischer Anis-Ersatz sein. Trotzdem leckte Franck sich die Lippen. Auch er hätte jetzt gerne einen Aperitif getrunken.
    Ein neuer Gast tauchte auf und setzte sich an den Tisch neben dem Helicopters. Insgesamt standen fünf Tische auf dem Bürgersteig, und da die anderen vier nicht besetzt waren, wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass der Fremde sich zwei oder drei Tische weiter niedergelassen hätte. Franck schöpfte neue Hoffnung. Der neue Gast war ein schlaksiger Mann in den Dreißigern. Er trug ein blaues Chambray-Hemd und marineblaue Leinenhosen, wirkte auf Franck jedoch nicht wie ein Arbeiter, sondern eher wie ein Künstler mit einem Faible für proletarische Kleidung. Als er sich setzte und die Beine übereinander schlug, sodass die rechte Ferse auf dem linken Knie zu ruhen kam, hatte Franck den Eindruck, diese Pose schon einmal gesehen zu haben. War ihm der Mann vielleicht schon einmal begegnet?
    Der Kellner kam, und der Gast bestellte sich etwas. Dann geschah eine Zeit lang gar nichts. Ob der Fremde Helicopter heimlich beobachtete? Oder wartete er lediglich auf sein Getränk? Der Kellner brachte ihm ein Glas blasses Bier auf einem Tablett; der Mann nahm einen langen Zug und wischte sich mit zufriedener Miene den Mund ab. Auch ich habe Durst, dachte Franck verdrossen und hatte im gleichen Augenblick das Gefühl, auch diese Geste schon einmal gesehen zu haben.
    Da sprach der Fremde Helicopter an.
    Franck war mit einem Schlag hellwach. Ist das der Moment, auf den wir so lange gewartet haben?, dachte er.
    Die ersten Worte, die die beiden Männer wechselten, schienen belanglos zu sein. Selbst aus der Entfernung spürte Franck, dass der neue Gast eine sehr einnehmende Persönlichkeit besaß: Helicopter lächelte, und als er sprach, geschah es mit erkennbarer Begeisterung. Nach ein paar Sekunden deutete er auf Clairets Haus – vermutlich erkundigte er sich nach dem Verbleib des Eigentümers. Der andere reagierte mit einem typisch französischen Achselzucken, und Franck konnte sich die Antwort vorstellen: »Keine Ahnung!« Helicopter schien sich damit allerdings nicht zufrieden zu geben.
    Der neue Gast trank sein Bier aus, und plötzlich fiel es Franck wie Schuppen von den Augen. Er wusste nun genau, wen er vor sich hatte, und die Erkenntnis verblüffte ihn dermaßen, dass er auf seinem Autositz regelrecht hochfuhr. Das war der Mann, den er im Straßencafe in Sainte-Cecile gesehen hatte, auch dort an einem Tisch im Freien, und in Begleitung von Felicity Clairet, nur Minuten vor dem Überfall. Dies

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