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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Bibliothek wieder, die allerdings eher wie der Kleiderfundus eines Filmstudios aussah. Da gab es Ständer und Regale voller Mäntel und Kleider sowie stapelweise Hut- und Schuhschachteln und Pappkartons mit Aufschriften wie Culottes, Chaussettes und Mouchoirs. In der Zimmermitte stand ein langer Tapeziertisch mit mehreren Nähmaschinen.
    Oberbefehlshaberin über das Ganze war Madame Guillemin, eine schmale Frau von etwa fünfzig Jahren in einem Hemdblusenkleid und einem dazu passenden schicken Jäckchen. Auf ihrer Nasenspitze trug sie eine Brille und um den Hals ein Maßband, und als sie die Frauen ansprach, geschah das in perfektem Französisch mit Pariser Akzent.
    »Wie Sie wissen, unterscheidet sich die französische Kleidung deutlich von der britischen. Ich will nicht unbedingt sagen, dass sie eleganter ist, aber sie ist, nun ja, Sie wissen schon, eben eleganter.« Sie zuckte die Achseln auf typisch französische Art, und die Frauen mussten lachen.
    Es ist nicht allein eine Frage der Eleganz, dachte Flick, der als Einziger nicht zum Lachen zumute war. Französische Jacken waren im Allgemeinen etwa dreißig Zentimeter länger, und auch sonst gab es zahllose kleine Unterschiede. Jeder Fehler im Detail konnte eine Agentin, ans Messer liefern. Daher waren sämtliche Kleidungsstücke entweder direkt in Frankreich gekauft, bei französischen Flüchtlingen gegen neue britische eingetauscht oder aber peinlich genau nach dem Vorbild französischer Originale gefertigt und eine Zeit lang getragen worden, damit man sie nicht auf den ersten Blick als neu erkannte.
    »Wir haben jetzt bald Sommer, weshalb wir Ihnen Baumwollkleider, leichte Wollkostüme und regenfeste Mäntel oder Jacken ausgesucht haben.« Madame wies mit einer nonchalanten Handbewegung auf zwei junge Frauen, die an den Nähmaschinen saßen. »Wenn das eine oder andere Stück nicht perfekt sitzt, werden meine Assistentinnen die erforderlichen Änderungen vornehmen.«
    Flick sagte: »Wir brauchen Kleidung, die ziemlich teuer, aber schon etwas abgetragen ist. Falls die Gestapo uns vernimmt, müssen wir aussehen wie gutbürgerliche Frauen.« Und wenn sie Hüte, Handschuhe und Gürtel wegließen, konnten sie sich bei Bedarf rasch in weniger respektabel gekleidete Putzfrauen verwandeln.
    Die Erste, die Madame Guillemin mit kritischem Blick ins Auge fasste, war Ruby. Nach einer minutenlangen Inspektion nahm sie ein marineblaues Kleid und einen hellbraunen Mantel von einem Ständer. »Probieren Sie das mal an. Ist zwar ein Herrenmantel, aber in Frankreich kann sich heutzutage niemand leisten, wählerisch zu sein.« Sie deutete auf einen Wandschirm: »Sie können sich dahinter umziehen, wenn Sie wollen, und für die ganz Schüchternen gibt es ein Vorzimmerchen hinter dem Schreibtisch. Wir glauben, dass sich der Besitzer des Hauses dort einzuschließen pflegte, um unanständige Bücher zu lesen.« Wieder mussten alle lachen – mit Ausnahme von Flick, die Madames Witze bereits kannte.
    Die Näherin musterte Greta von Kopf bis Fuß, dann ging sie weiter und sagte: »Ich komme noch mal zu Ihnen.« Sie wählte Kleidung für Jelly, Diana und Maude aus, und die drei verschwanden hinter dem Wandschirm. Dann wandte sich die Französin an Flick und fragte leise: »Soll das ein Witz sein?«
    »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Sie sind ein Mann«, sagte sie unverblümt zu Greta.
    Flick stöhnte enttäuscht auf und wandte sich ab. Die Näherin hatte nur Sekunden gebraucht, um Gretas Verkleidung zu durchschauen. Das war kein gutes Omen.
    »Sicher lassen sich eine Menge Leute von Ihnen täuschen«, fügte Madame hinzu, »aber ich nicht. Ich erkenne das sofort.«
    »Woran?«, fragte Greta.
    Madame Guillemin zuckte die Achseln. »Die Proportionen stimmen hinten und vorne nicht: Ihre Schultern sind zu breit, Ihre Hüften zu schmal, Ihre Beine zu muskulös, Ihre Hände zu groß. Für Experten ist es völlig eindeutig.«
    Gereizt erklärte Flick: »Sie muss bei diesem Einsatz unbedingt als Frau durchgehen, also verkleiden Sie sie bitte, so gut Sie können.«
    »Selbstverständlich, aber lassen Sie sie um Himmels willen keinem Schneider unter die Augen kommen.«
    »Bestimmt nicht. So viele Schneider arbeiten nicht bei der Gestapo.« Flicks Zuversicht war nur gespielt. Sie wollte Madame Guille- min nicht zeigen, wie besorgt sie in Wirklichkeit war.
    Die Näherin musterte Greta noch einmal gründlich. »Ich gebe Ihnen Rock und Bluse in kontrastierenden Farben, damit Sie nicht so groß

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