Die Leopardin
hinauswollen«, sagte er und nahm wieder seinen Platz in der Ecke ein.
Sehr vorsichtig riss Franck ein Stück von einem der Bögen ab, so- dass nur noch wenige Wörter auf dem Papier standen.
Als Gilberte Duval hereinkam, wirkte sie verängstigt, aber trotzig. »Ich werde Ihnen gar nichts erzählen«, erklärte sie. »Ich werde meine Freunde auf keinen Fall verraten. Im Übrigen weiß ich gar nichts. Ich bin bloß die Fahrerin.«
Franck befahl ihr, sich zu setzen, und bot ihr Kaffee an. »Echter Kaffee«, sagte er, als er ihr die Tasse reichte – für Franzosen gab es nur Ersatzkaffee zu kaufen.
Gilberte nippte daran und bedankte sich.
Sie war recht hübsch mit ihren langen dunklen Haaren und den ebenso dunklen Augen, wenngleich ihr Ausdruck auf Franck ein wenig einfältig wirkte. »Sie sind eine schöne Frau, Mademoiselle«, sagte er. »Ich glaube, im Herzen sind Sie keine Mörderin.«
»Nein, bestimmt nicht!«, erwiderte sie dankbar.
»Eine Frau tut so manches aus Liebe, nicht wahr?«
Überrascht sah sie ihn an. »Da haben Sie Recht.«
»Ich weiß alles über Sie. Sie lieben Michel Clairet.«
Sie senkte den Kopf und gab keine Antwort.
»Gewiss, er ist verheiratet, bedauerlicherweise. Aber Sie lieben ihn. Und deshalb sind Sie zur Resistance gegangen. Aus Liebe, nicht aus Hass.«
Sie nickte.
»Habe ich Recht?«, fragte er. »Sie müssen mir deutlich antworten.«
»Ja«, flüsterte sie.
»Aber Sie haben sich irreleiten lassen, meine Liebe.«
»Ich weiß, dass ich falsch gehandelt habe.«
»Sie missverstehen mich. Sie haben sich dazu verführen lassen, das Gesetz zu brechen, gewiss. Vor allem aber haben Sie sich dazu verführen lassen, Clairet zu lieben. Auch das war eine Irreleitung.«
Verwirrt sah sie ihn an. »Ich weiß ja, dass er verheiratet ist, aber.«
»Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass er Sie nicht liebt.«
»Doch, das tut er!«
»Nein. Er liebt seine Frau. Eine Engländerin – ohne Schick, nicht besonders schön und obendrein auch noch ein paar Jahre älter als Sie, Mademoiselle. Doch er liebt sie.«
Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie sagte: »Ich glaube Ihnen kein Wort.«
»Er schreibt ihr, wissen Sie. Ich nehme an, er lässt seine Briefe von den Kurieren nach England bringen. Es sind Liebesbriefe, in denen er ihr schreibt, wie sehr sie ihm fehlt. Sie sind sehr poetisch, fast ein bisschen altmodisch. Er siezt sie sogar, wie es früher auch unter Eheleuten üblich war, wohl um seine ganz besondere Verehrung für sie auszudrücken. Ich habe ein paar von diesen Briefen gelesen.«
»Das ist unmöglich.«
»Einen hatte er bei seiner Verhaftung bei sich. Er wollte ihn zwar noch vernichten, doch gelang es uns, ihm ein Stück davon zu entwinden.« Franck zog den Briefbogen, den er zuvor so sorgfältig durchgerissen hatte, aus der Tasche und gab ihn Gilberte. »Das ist doch seine Handschrift, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und es ist ein Liebesbrief, oder was?«
Gilberte las langsam und bewegte dabei die Lippen:
Ja, ich denke unaufhörlich an Sie!... Die Erinnerung an Sie bringt mich zur Verzweiflung! O, verzeihen Sie!. Ich gehe schon... Leben Sie wohl!. Ich werde weit fortgehen.... so weit, dass Sie nichts mehr von mir hören werden... Und dennoch... heute... ich weiß nicht, welche Macht mich noch einmal hierher getrieben hat! Aber gegen den Himmel kann man nicht streiten, dem Lächeln der Engel kann man nicht widerstehen! Man lässt sich hinreißen von dem, was schön ist, bezaubernd, anbetungswürdig!
Gilberte schluchzte auf und warf den Briefbogen fort.
»Ich bedaure, dass ich derjenige sein muss, der Ihnen das sagt«, bemerkte Franck in sanftem Tonfall, zog das blütenweiße Taschentuch aus der Brusttasche seines Anzugs und reichte es ihr. Sie vergrub darin ihr Gesicht.
Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, das Gespräch unmerklich in eine Befragung umzuwandeln. »Ich nehme an, Clairet lebt mit Ihnen zusammen, seit seine Frau fort ist.«
»Schon viel länger«, sagte Gilberte empört. »Schon seit sechs Monaten war er jede Nacht bei mir, nur nicht an den Tagen, an denen sie in Reims war.«
»In Ihrem Haus?«
»Ich habe eine Wohnung. Nur eine kleine. Aber sie war groß genug für zwei. für zwei Menschen, die sich lieben.« Sie weinte wieder.
Während er sich auf Umwegen dem Thema näherte, das ihn wirklich interessierte, bemühte sich Franck um die Beibehaltung eines lockeren Konversationstons. »War es nicht ein bisschen schwierig, in so einer kleinen Wohnung auch noch
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