Die Leopardin
nicht kennen. Trotzdem werden wir versuchen, im Zug Plätze zu finden, die nicht allzu weit voneinander entfernt sind. Auf jeden Fall treffen wir uns dann in Paris wieder – ihr habt die Adresse.«
Ihr Ziel war eine billige Absteige namens Hotel de la Chapelle, deren Besitzerin, wiewohl kein aktives Mitglied der Resistance, zuverlässig war und keine Fragen stellen würde. Wenn sie früh genug in Paris ankamen, wollten sie sofort nach Reims weiterfahren; klappte es nicht, so konnten sie in der Absteige übernachten. Flick war nicht sehr begeistert davon, über Paris fahren zu müssen, denn dort wimmelte es nur so von Gestapo-Beamten und ihren französischen Kollaborateuren. Für Zugreisende gab es jedoch keine Möglichkeit, die Hauptstadt zu umfahren.
Noch immer kannten nur Flick und Greta die wahre Aufgabe der Dohlen; die anderen waren weiterhin der Überzeugung, sie sollten einen Bahntunnel sprengen.
»Diana und Maude zuerst – los, fort mit euch! Dann ihr beide, Jelly und Greta, aber geht etwas langsamer.« Die Angst stand den Frauen ins Gesicht geschrieben, als sie sich auf den Weg machten. Chevalier gab jeder zum Abschied die Hand, wünschte ihnen viel Glück und fuhr zurück zu dem Feld, wo die restlichen Munitionskisten auf ihn warteten. Als Letzte verließen Flick und Ruby die Gasse.
Die ersten Schritte in einer französischen Stadt waren immer die schlimmsten. Flick konnte sich nie des Gefühls erwehren, dass alle Menschen, die ihr begegneten, wissen mussten, wer sie war. Es war ihr, als trüge sie ein Schild auf dem Rücken mit der Aufschrift: Britische Spionin! Knallt sie ab! Doch die Leute gingen an ihr vorüber und nahmen keine Notiz von ihr, und nachdem auch ein Gendarm und zwei deutsche Offiziere vorbeigekommen waren, ohne sie zu behelligen, begann sich ihr Puls wieder zu normalisieren.
Ein eigenartiges Gefühl blieb. Vor dem Krieg hatte sie ein bürgerliches Leben in geordneten Verhältnissen geführt, und man hatte ihr beigebracht, Polizisten als Freunde zu betrachten. »Ich hasse es, auf der falschen Seite des Gesetzes zu stehen«, murmelte sie Ruby auf Französisch zu. »Ich komme mir dauernd vor, als hätte ich was verbrochen.«
Ruby lachte leise. »Ich bin dran gewöhnt«, sagte sie. »Die Bullen waren schon immer meine Feinde.«
Flick musste plötzlich daran denken, dass Ruby eine Mörderin war, die noch am vergangenen Dienstag im Gefängnis gesessen hatte. War das tatsächlich erst vier Tage her?
Die Kathedrale lag auf einer Anhöhe. Ihr Anblick ließ Flick vor Aufregung erschaudern: Ein Gotteshaus wie dieses gab es kein zweites Mal. Es verkörperte den kulturellen Höhepunkt des französischen Mittelalters.
Auf der anderen Seite des Hügels führte eine Straße zum Bahnhof hinunter, einem modernen Bau, dessen Steine die gleiche Farbe hatten wie die der Kathedrale. Sie betraten die quadratische Halle aus hellbraunem Marmor. Vor dem Fahrkartenschalter hatte sich eine Schlange gebildet – kein schlechtes Zeichen, weil es bedeutete, dass die Einheimischen in absehbarer Zeit mit einem Zug rechneten. Greta und Jelly hatten sich in die Schlange eingereiht. Da von Diana und Maude nirgends etwas zu sehen war, befanden sie sich offenbar bereits auf dem Bahnsteig.
Auch Flick und Ruby stellten sich an. Gegenüber von ihnen hing ein Plakat, das vor der Resistance warnte. Es zeigte einen brutalen Schlägertyp mit einem Gewehr und dahinter Stalin. Der Text dazu lautete:
SIE MORDEN!
Versteckt in den Falten UNSERER FAHNE
Damit bin ich wohl gemeint, dachte Flick.
Der Fahrkartenkauf verlief reibungslos. Vor dem Bahnsteig hatte die Gestapo einen Kontrollpunkt eingerichtet. Flicks Herzschlag beschleunigte sich. Für Greta und Jelly, die vor ihnen in der Schlange standen, war dies die erste Begegnung mit dem Feind. Stumm betete Flick darum, dass die beiden nicht die Nerven verloren. Diana und Maude mussten die Kontrolle schon hinter sich haben.
Greta sprach Deutsch mit den Gestapo-Leuten. Flick konnte deutlich hören, wie sie ihre Legende erzählte.
»Ich kenne einen Major Remmer«, sagte einer der beiden Polizisten. »Ist er Ingenieur?«
»Nein, er ist beim Nachrichtendienst«, antwortete Greta.
Sie wirkte bemerkenswert gelassen. Sich zu verstellen und so zu tun, als sei sie jemand anders, ist ihr anscheinend längst zur zweiten Natur geworden, dachte Flick.
»Sie mögen Kathedralen?«, sagte der Mann im Plauderton. »Was anderes gibt’s in diesem Nest hier ja auch nicht zu sehen.«
»Das
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