Die Leopardin
meine Damen«, sagte er auf Englisch. »Los geht’s!«
In kühlem Ton und auf Französisch erwiderte Flick: »Keine Späßchen bitte und kein Englisch.«
Er fuhr los.
Nach beinahe achthundert Flugkilometern, die sie auf dem Metallboden eines Bombers verbracht hatten, legten die Dohlen nun weitere dreißig Kilometer zusammengepfercht im Lieferwagen eines Baugeschäfts zurück. Erstaunlicherweise war es Jelly – die Älteste, Dickste und am wenigsten Durchtrainierte der sechs –, die diesen Umstand am gelassensten hinnahm. Sie machte sich über die unbequemen Bedingungen lustig und lachte über sich selbst, als sie in einer scharfen Kurve den Halt verlor und hilflos umkippte.
Doch als die Sonne aufging und der Wagen in die Kleinstadt Chartres einfuhr, verdüsterte sich die Stimmung wieder. »Ich kann es noch immer nicht fassen, worauf ich mich da eingelassen habe!«, sagte Maude, und Diana drückte ihre Hand.
Flick dachte schon voraus. »Wir teilen uns jetzt in drei Zweiergruppen auf«, verkündete sie. Die Paare waren bereits im Mädchenpensionat festgelegt worden: Flick hatte Diana mit Maude zusammengespannt, weil Diana sonst einen Aufstand gemacht hätte. Sie selbst hatte sich Ruby zur Partnerin gewählt, weil sie in kritischen Situationen eine Gesprächspartnerin haben wollte und Ruby die Cleverste im Team war. Dies bedeutete allerdings, dass ausgerechnet Greta und Jelly das dritte Paar bilden mussten. Und prompt maulte Jelly: »Ich sehe immer noch nicht ein, warum ich mit einer Ausländerin herumziehen soll.«
»Wir sind hier nicht beim Kaffeekränzchen, sondern in einem militärischen Einsatz«, erwiderte Flick gereizt. »Da besteht man nicht darauf, neben seiner besten Freundin zu sitzen, sondern tut einfach, was einem gesagt wird.«
Jelly hielt den Mund.
»Wir müssen unsere Legenden verändern, weil wir eine Erklärung für die Zugfahrt brauchen«, fuhr Flick fort. »Fällt euch dazu was ein?«
Greta sagte: »Ich bin die Gattin von Major Remmer, einem deutschen Offizier, der in Paris stationiert ist, und bin mit meiner französischen Hausangestellten unterwegs. Eigentlich hätte ich ja als Besucherin der Kathedrale von Reims auftreten wollen. Ich denke, wir ändern das einfach um: Wir sind auf dem Rückweg von einem Besuch in der Kathedrale von Chartres.«
»Klingt gut. Diana?«
»Maude und ich sind Sekretärinnen bei den Elektrizitätswerken von Reims. Wir waren in Chartres, weil. Maude schon lange keinen Kontakt mehr zu ihrem Verlobten hatte und wir geglaubt haben, er könne in Chartres sein. Ist er aber nicht.«
Flick nickte zufrieden. Tausende von Französinnen suchten in dieser Zeit abgängige Verwandte und Freunde, vor allem junge Männer, mit denen alles Mögliche geschehen sein konnte: Vielleicht waren sie bei einem Bombenangriff verletzt worden, vielleicht hatte die Gestapo sie verhaftet, vielleicht waren sie in ein Arbeitslager nach Deutschland deportiert worden oder aber in den Untergrund gegangen.
»Und ich«, sagte sie, »bin die Witwe eines Börsenmaklers, der 1940 gefallen ist. Ich bin nach Chartres gefahren, um meine verwaiste Cousine abzuholen, die künftig bei mir in Reims leben soll.«
Einer der größten Vorteile weiblicher Geheimagenten bestand darin, dass sie, ohne Verdacht zu erregen, im Land herumfahren konnten. Ein Mann – vor allem ein junger –, der außerhalb seines normalen Arbeits- und Wirkungskreises angetroffen wurde, galt automatisch als potenzieller Angehöriger der Resistance.
Flick wandte sich an Chevalier, den Fahrer. »Lassen Sie uns irgendwo raus, wo keine Leute sind.« Sechs ordentlich gekleidete Frauen, die aus dem Lieferwagen eines Baugeschäfts stiegen, wären selbst im besetzten Frankreich, wo sich die Menschen mit den abenteuerlichsten Verkehrsmitteln zufrieden geben mussten, eine seltsame Erscheinung gewesen. »Den Bahnhof finden wir dann schon alleine.«
Ein paar Minuten später bremste Chevalier, stoppte und setzte in einem Bogen zurück. Dann sprang er aus dem Wagen und öffnete die Hecktür. Die Dohlen stiegen aus und fanden sich in einer schmalen, mit Kopfstein gepflasterten Gasse wieder, die beiderseits von hohen Häusern flankiert wurde. In einer Lücke zwischen zwei Hausdächern war ein Stück von der Kathedrale zu sehen.
Flick erinnerte die anderen noch einmal an den Plan: »Wir gehen zum Bahnhof, kaufen einfache Fahrkarten nach Paris und steigen in den ersten Zug, der kommt. Jedes Paar verhält sich so, als würde es die anderen
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