Die Leopardin
starrte er auf das Tablett und traute seinen Augen nicht. Auf Deutsch sagte er: »Belohnen wir die Leute jetzt schon dafür, dass sie feindlichen Spionen Unterschlupf bieten?«
»Das Fräulein ist eine Dame«, sagte Franck. »Es ist unsere Pflicht, sie korrekt zu behandeln.« »Herrgott noch mal!«, knurrte Weber und machte auf dem Absatz kehrt.
Mademoiselle Lemas verzichtete auf das Hauptgericht, trank aber den gesamten Kaffee aus. Franck war das nur recht. Alles verlief genau nach seinem Plan. Nachdem sie mit dem Essen fertig war, stellte er ihr sämtliche Fragen noch einmal. »Wo treffen Sie die Agenten der Alliierten? – Woran erkennen Sie sie? – Wie lautet die Parole?«
Sie wirkte besorgt, verweigerte aber nach wie vor die Antwort.
Er bedachte sie mit einem melancholischen Blick. »Es stimmt mich sehr traurig, dass Sie noch immer die Zusammenarbeit verweigern, obwohl ich Sie so gut behandelt habe.«
Sie schien daraus nicht recht klug zu werden und erwiderte: »Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Zuvorkommenheit, aber ich kann Ihnen wirklich nichts sagen.«
Stephanie, die neben Franck saß, wusste auch nicht, was sie von alldem halten sollte. Er ahnte, was sie jetzt dachte: Bildest du dir wirklich ein, dass ein gutes Essen genügt, um diese Frau zum Reden zu bringen?
»Nun denn.«, sagte er und erhob sich, als wolle er sich entfernen.
»Monsieur.«, sagte Mademoiselle Lemas, und es war unverkennbar, dass ihr das Thema peinlich war. »Darf ich Sie bitten, mir. äh. mich. Ich würde mir jetzt gerne die Hände waschen.«
»Sie wollen auf die Toilette?«, fragte Franck schroff.
Die Gefangene errötete. »Mit einem Wort: ja.«
»Ich bedaure, Mademoiselle«, sagte er, »aber das wird leider nicht möglich sein.«
Das Letzte, was Monty am späten Montagabend zu Paul Chancellor gesagt hatte, war: »Sorgen Sie dafür, dass diese Fernmeldezentrale zerstört wird – und wenn es das Einzige ist, was Sie in diesem Krieg noch zuwege bringen!«
Als Paul am Morgen erwachte, klangen diese Worte in seinem Kopf noch nach. Es war eine banale Instruktion: Erfüllte er sie, hatte er einen Beitrag zum Sieg geleistet. Versagte er jedoch, würde es Tote geben – und er konnte dann den Rest seines Lebens darüber nachgrübeln, wie groß seine Mitschuld an dem verlorenen Krieg war.
Obwohl Paul schon früh in die Baker Street kam, war Percy Thwaite bereits anwesend. Er saß in seinem Büro, schmauchte eine Pfeife und starrte auf sechs Kisten mit Akten. Mit seiner karierten Jacke und seinem zahnbürstenartigen Schnauzer sah er aus wie ein typischer nichtsnutziger Militärbürokrat.
»Ich weiß beim besten Willen nicht, wie Monty darauf kommt, Ihnen die Leitung dieser Operation zu übertragen«, sagte er mit sanfter Aggression in der Stimme zu Paul. »Dass Sie nur Major sind und ich Oberst bin, macht mir ja nichts aus, das ist sowieso alles Unfug. Aber Sie haben noch nie eine verdeckte Operation geleitet, während ich seit drei Jahren kaum was anderes tue. Haben Sie eine Erklärung dafür?«
»Ja«, erwiderte Paul kurz angebunden. »Wenn Sie absolut sichergehen wollen, dass ein bestimmter Job erledigt wird, dann übertragen Sie ihn einem Mann Ihres Vertrauens. Monty vertraut mir.«
»Und mir nicht.«
»Er kennt Sie nicht.«
»Aha«, brummte Thwaite verstimmt.
Paul konnte auf Percy Thwaites Mitarbeit nicht verzichten und versuchte daher, ihn zu besänftigen. Er sah sich im Büro um. Sein Blick fiel auf ein gerahmtes Foto, das einen jungen Mann in Leutnantsuniform und eine ältere Frau mit einem großen Hut zeigte. Der junge Mann sah aus, wie Percy vor dreißig Jahren ausgesehen haben mochte. »Ihr Sohn?« Es war ein Schuss ins Blaue.
Thwaites schlechte Laune verflog im Nu. »David ist unten in Kairo«, erläuterte er. »Es gab ein paar sehr kritische Augenblicke während des Wüstenkriegs, vor allem, nachdem Rommel Tobruk erreicht hatte. Aber inzwischen ist David natürlich aus der Schusslinie – und ich muss sagen, ich bin heilfroh darüber.«
Die Frau war dunkelhaarig und dunkeläugig. Sie hatte strenge Gesichtszüge und wirkte eher angenehm als hübsch. »Und Mrs. Thwaite?«
»Rosa Mann. Sie war in den Zwanzigerjahren eine bekannte Suffragette und benutzte stets ihren Mädchennamen.«
»Suffragette?«
»Ja, eine Vorkämpferin für das Frauenwahlrecht.«
Thwaite mag starke Frauen, dachte Paul. Deshalb mag er auch Felicity Clairet. »Sie haben völlig Recht, was meine Defizite angeht«, gab er zu. »Ich war zwar an
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