Die Leopardin
zusammengebissenen Lippen, voranschleppte. Am Ende des Flurs blieben sie vor einer Tür mit der Aufschrift Damen stehen, bei deren Anblick Mademoiselle Lemas laut aufstöhnte.
»Mach die Tür auf«, sagte Franck zu Stephanie.
Sie tat es. Es war ein sauberer, weiß gekachelter Raum mit einem Waschbecken, einem Handtuch über einer Stange und einer Reihe von Kabinen. »So«, sagte Franck, »jetzt geht’s uns gleich wieder viel besser!«
»Bitte«, flüsterte Mademoiselle Lemas, »lassen Sie mich gehen.«
»Wo treffen Sie die britischen Agenten?«
Mademoiselle Lemas fing an zu weinen.
»Wo treffen Sie diese Leute?«, wiederholte Franck in sanftem Ton.
»In der Kathedrale«, schluchzte sie. »In der Krypta. Bitte lassen Sie mich jetzt gehen.«
Mit einem tiefen, erleichterten Seufzer bekundete Dieter Franck seine Zufriedenheit. Der Widerstand war gebrochen. »Und wann treffen Sie sie dort?«
»Nachmittags um drei. Ich gehe jeden Tag hin.«
»Und wie erkennen Sie einander?«
»Ich trage verschiedenfarbige Schuhe, einen braunen und einen schwarzen. Darf ich jetzt.«
»Eine Frage noch: Wie lautet die Parole?«
»Beten Sie für mich.«
Sie versuchte, vorwärts zu gehen, doch Franck und Hesse hielten sie fest. »Beten Sie für mich«, wiederholte Franck. »Das sagen Sie – oder der Agent?«
»Der Agent. oh.. bitte .«
»Und Ihre Antwort?« »Ich bete für den Frieden. Das ist meine Antwort.«
»Danke«, sagte Franck und gab sie frei.
Mademoiselle Lemas rannte in eine Toilettenkabine. Stephanie folgte ihr auf ein Nicken Francks und schloss die Tür hinter sich.
Dieter Franck konnte seine Befriedigung nicht verhehlen. »Sehen Sie, Hesse, wir machen Fortschritte.«
Auch der Leutnant war zufrieden. »Die Krypta in der Kathedrale. Nachmittags um drei. Jeden Tag. Ein brauner und ein schwarzer Schuh. ›Beten Sie für mich‹, und die Antwort: ›Ich bete für den Frieden.‹ Sehr gut!«
»Wenn die beiden wieder rauskommen, sperren Sie die Gefangene in eine Zelle und überstellen sie der Gestapo. Die wird dafür sorgen, dass Mademoiselle in irgendeinem KZ verschwindet.«
Leutnant Hesse nickte. »Ziemlich hartes Vorgehen, Herr Major, scheint mir. Ich meine... Sie ist doch eine alte Dame. «
»Nur auf den ersten Blick, Hesse. Aber denken Sie mal an die deutschen Soldaten und französischen Zivilisten, die diese Untergrundkämpfer auf dem Gewissen haben. Die Frau hat diesen Mördern Unterschlupf gewährt. Da erscheint mir die Strafe eher noch zu milde.«
»Jawohl, Herr Major. Das wirft ein anderes Licht auf diesen Fall.«
»So sehen Sie, wie eines zum anderen führt«, sagte Franck nachdenklich. »Lefevre führt uns zu einem Haus, das Haus führt uns zu Mademoiselle Lemas, sie führt uns in die Krypta – und die Krypta wird uns. na, warten wir ‘s ab!« Er überlegte bereits, wie sich die neuen Informationen am besten verwerten ließen.
Das Reizvolle an dieser Aufgabe lag darin, die Agenten zu schnappen, ohne dass man in London davon erfuhr. Packte man die Sache nur richtig an, so würden die Alliierten noch weitere Agenten auf dem gleichen Wege schicken und dafür enorme Mittel vergeuden. In Holland hatte das geklappt: Da waren über fünfzig mit großem Aufwand ausgebildete Saboteure mit ihren Fallschirmen abgesprungen – und sozusagen direkt in den Armen der Deutschen gelandet.
Im Idealfall traf der nächste Agent aus London Mademoiselle Lemas in der Krypta und ging mit ihr nach Hause. Dort gab er dann per Funk nach London durch, dass alles nach Plan verlaufen sei. Sobald er das Haus verlassen hatte, konnte man die Codebücher kassieren, den Spion verhaften – und in der Folge nicht nur in seinem Namen weitere Funkbotschaften nach London übermitteln, sondern auch die Antworten darauf lesen. Dieter Franck sah sich bereits als Chef einer rein fiktiven Resistance-Zelle – eine aufregende Vision.
Willi Weber kam vorbei. »Wie steht’s, Herr Major? Hat die Gefangene ausgepackt?«
»Ja, das hat sie.«
»Keine Minute zu früh. Hat es was genützt?«
»Sie können Ihren Vorgesetzten mitteilen, dass sie uns verraten hat, wo sie sich mit den feindlichen Agenten trifft und welche Parolen sie benutzen. Wir werden also künftige Spione und Saboteure gleich bei ihrem Eintreffen abfangen können.«
Trotz seiner Abneigung gegen Franck war Weber neugierig. »Und wo finden diese Treffen statt?«
Franck zögerte. Am liebsten hätte er Weber nicht ins Vertrauen gezogen. Aber es war schwierig, ihm die
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