Die Leopardin
Franck. »Allerdings ist nur Lefevre halbwegs fit. Bisset und die Delys sind schwer verletzt – sollte mich wundern, wenn die plötzlich wieder gehen könnten.«
»Dann wird man sie eben zum Schandpfahl tragen. Aber ich habe Sie nicht holen lassen, um mit Ihnen über die Delinquenten zu diskutieren. Meine Vorgesetzten in Paris haben sich gerade nach den Fortschritten erkundigt, die wir gemacht haben.«
»Und was haben Sie ihnen gesagt, Willi?«
»Dass Sie achtundvierzig Stunden nach Beginn der Untersuchung eine alte Frau verhaftet haben, die in ihrem Haus alliierten Spionen Unterschlupf gewährt haben soll – oder auch nicht. Und dass sie uns bisher nichts gesagt hat.« »Und was hätten Sie Ihren Vorgesetzten gerne erzählt?«
Weber schlug theatralisch auf die Schreibtischplatte. »Dass wir der Resistance endlich das Rückgrat gebrochen haben!«
»Das kann ein bisschen länger dauern als achtundvierzig Stunden.«
»Warum foltern Sie diese alte Schachtel nicht?«
»Ich foltere sie durchaus.«
»Indem Sie sie nicht aufs Klo gehen lassen? Was ist denn das für eine Folter!«
»Die in diesem Fall zweifellos effektivste, denke ich.«
»Sie halten sich mal wieder für obergescheit, was? Sie waren schon immer ein arroganter Hund. Aber jetzt, Herr Major, leben wir in einem neuen Deutschland. Da gilt es nicht mehr als selbstverständlich, dass einer ein besseres Urteilsvermögen besitzt, bloß weil er der Sohn von einem Professor ist.«
»Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Weber!«
»Glauben Sie denn allen Ernstes, Sie wären jemals der jüngste Abteilungsleiter bei der Kölner Kripo geworden, wenn Ihr Vater nicht ein hohes Tier an der Universität gewesen wäre?«
»Ich musste dieselben Prüfungen ablegen wie alle anderen.«
»Merkwürdig, dass andere, die genauso fähig waren wie Sie, nie eine solche Karriere gemacht haben.«
War das die Fantasiegeschichte, die Weber sich selbst einredete? »Um Himmels willen, Willi, Sie wollen doch nicht behaupten, dass der gesamte Kölner Polizeiapparat sich verschworen hat, mir bessere Beurteilungen zu geben als Ihnen, nur weil mein Vater Musikprofessor war? Das ist doch lachhaft!«
»Solche Mauscheleien waren damals gang und gäbe!«
Franck seufzte. So ganz Unrecht hatte Weber nicht. Pfründenwirtschaft und Nepotismus hatte es in Deutschland natürlich gegeben. Bloß war Webers Karriere nicht daran gescheitert. Die simple Wahrheit lautete: Er war zu dumm. Nur in einer Organisation, in der
Fanatismus wichtiger war als Kompetenz, konnten es Leute wie Weber zu etwas bringen.
Das törichte Geschwätz ging Franck auf die Nerven. »Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über unser Fräulein Lemas«, sagte er. »Sie wird in Kürze reden.« Er ging zur Tür. »Und wir werden der Resistance das Rückgrat brechen, Sie müssen sich nur ein klein wenig länger gedulden.«
Er kehrte ins Hauptbüro zurück. Mademoiselle Lemas gab inzwischen leise, klagende Geräusche von sich. Die Unterredung mit Weber hatte Franck ungeduldig gemacht. Er beschloss, den Lauf der Dinge zu beschleunigen. Als Stephanie zurückkehrte, stellte er das Glas auf den Tisch, öffnete die Flasche und schenkte vor den Augen der Gefangenen langsam das Bier ein. Schmerzenstränen quollen ihr aus den Augen und kullerten über ihre Pausbacken. Dieter Franck nahm einen tiefen Schluck und setzte das Glas ab. »Ihre Qualen, Mademoiselle, sind gleich vorbei«, sagte er. »Erleichterung naht. In wenigen Augenblicken werden Sie mir alle meine Fragen beantworten, und dann wird es Ihnen wieder besser gehen.«
Sie schloss die Augen.
»Wo treffen Sie sich mit den britischen Agenten?«
Er machte eine Pause.
»Wie erkennen Sie einander?«
Keine Antwort.
»Wie lautet die Parole?«
Er wartete einen Moment. Dann sagte er: »Überlegen Sie sich Ihre Antworten genau, formulieren Sie sie im Geiste vor und achten Sie darauf, dass sie klar und eindeutig sind, sodass Sie sie mir, wenn es so weit ist, ohne Verzögerung oder Ausflüchte geben können. Danach steht einer raschen Linderung Ihrer Pein nichts mehr im Wege.«
Er zog den Handschellenschlüssel aus der Tasche. »Hesse, halten Sie sie am Handgelenk fest.« Er bückte sich und löste die Handschelle, die Mademoiselle Lemas’ Knöchel mit dem Tischbein verbunden hatte. »Komm mit, Stephanie!«, sagte er dann. »Wir gehen jetzt zur Damentoilette.«
Stephanie ging voran. Dieter Franck und Hans Hesse hielten die Gefangene im Griff, die sich, vornübergebeugt und mit
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