Die Leopardin
Vorräte. Ich bin die Marie. Ich lebe draußen auf dem Land und kann ab und zu ein paar Lebensmittel extra organisieren. Ich hab was mitgebracht für. für Mademoiselle.«
»Aha«, sagte Stephanie. »Und für ihre. Gäste, nicht wahr?« Es raschelte, und Franck vermutete, dass sie sich die in Papier eingewickelten Lebensmittel aus dem Korb ansah. »Das sind ja tolle Sachen! Eier, Schweinefleisch, Erdbeeren.«
Deshalb also ist Mademoiselle Lemas so feist geblieben, dachte Franck.
»Sie wissen also... Bescheid?«, fragte Marie.
»Ja, ich bin über Tantchens Doppelleben informiert.«
Als Stephanie »Tantchen« sagte, fiel Franck ein, dass weder er noch Stephanie sich jemals nach dem Vornamen von Mademoiselle Lemas erkundigt hatten. Wenn Marie herausfand, dass Stephanie nicht wusste, wie ihre »Tante« mit Vornamen hieß, konnten sie ihre Maskerade vergessen.
»Wo ist sie denn?«
»Sie ist nach Aix gefahren. Erinnern Sie sich an Charles Menton, der früher Dekan an der Kathedrale war?«
»Nein.«
»Vielleicht sind Sie zu jung. Er war der beste Freund von Tantchens Vater – bis er in Ruhestand ging und in die Provence zog.« Stephanie improvisiert hervorragend, dachte Franck voller Bewunderung. Sie bleibt kühl bis ans Herz und hat Fantasie. »Er hat einen Herzinfarkt erlitten. Sie ist zu ihm gefahren, um ihn zu pflegen, und hat mich gebeten, das Haus zu hüten. Ich soll mich während ihrer Abwesenheit auch um die Gäste kümmern.«
»Und wann kommt sie zurück?«
»Monsieur Menton wird vermutlich nicht mehr lange leben. Andererseits kann es ja auch sein, dass der Krieg bald zu Ende ist.«
»Sie hat niemandem von diesem Monsieur Menton erzählt.«
»Mir schon.«
Sieht fast so aus, als ob Stephanie mit ihrer Flunkerei Erfolg hat, dachte Franck. Wenn sie noch ein paar Minuten durchhält, hat sie Marie überzeugt. Marie wird dann zwar dem einen oder anderen von ihrer Begegnung erzählen, aber Stephanies Geschichte ist schlüssig und passt auch recht gut ins Umfeld einer Widerstandsbewegung. Dort herrschten andere Verhältnisse als in einer Amee. Jemand wie Mademoiselle Lemas konnte ohne weiteres von sich aus beschließen, ihren Posten zu verlassen und jemand anders an ihre Stelle zu setzen. Die Resistance-Führer ärgerten sich über solche Eigenmächtigkeiten grün und blau, konnten aber kaum etwas dagegen unternehmen: Ihre Mitstreiter waren ausnahmslos Freiwillige.
Franck schöpfte wieder Hoffnung.
»Wo kommen Sie her?«, fragte Marie.
»Ich wohne in Paris.«
»Hält Ihre Tante Valerie noch mehr heimliche Nichten versteckt?«
Aha, dachte Dieter Franck, Mademoiselle heißt Valerie.
»Ich glaube nicht – jedenfalls nicht, dass ich wüsste.«
»Sie lügen.«
Maries Ton hatte sich schlagartig verändert. Irgendetwas war schiefgegangen. Franck seufzte und zog die halbautomatische Pistole unter seinem Jackett hervor.
»Wie bitte? Wovon reden Sie eigentlich?«, fragte Stephanie.
»Sie lügen. Sie kennen ja nicht einmal ihren Namen. Sie heißt nicht Valerie, sondern Jeanne.«
Mit dem Daumen schob Franck den Sicherungshebel auf der linken Seite nach oben in Feuerstellung.
Stephanie spielte ihr Spiel unverdrossen weiter. »Ich hab sie immer Tantchen genannt. Sie sind sehr unhöflich.«
»Ich hab es von Anfang an gewusst«, sagte Marie voller Verachtung. »So einer wie Ihnen. mit diesen hochhackigen Schuhen und dem Parfüm – so einer hätte Jeanne nie vertraut.«
Dieter Franck betrat die Küche. »Wie schade für Sie, Marie«, sagte er. »Wenn Sie ein bisschen vertrauensseliger oder nicht ganz so neunmalklug gewesen wären, hätten wir Sie laufen lassen können. Aber jetzt stehen Sie unter Arrest.«
Marie sah Stephanie an und sagte: »Besatzerhure!«
Das saß. Stephanie lief knallrot an.
Dieter Franck machte die Bemerkung dermaßen wütend, dass er Marie um ein Haar die Pistole um die Ohren geschlagen hätte. »Diese Bemerkung werden Sie noch bereuen, wenn Sie in den Händen der Gestapo sind«, sagte er in eiskaltem Ton. »Es gibt da einen Wachtmeister Becker, der Sie verhören wird. Sie werden heulen und bluten und um Gnade betteln – und dann an diese unüberlegte Unverschämtheit denken.«
Es sah so aus, als wolle Marie davonlaufen. Franck hoffte fast, sie würde es tatsächlich tun – er hätte sie dann erschießen können, und das Problem wäre gelöst gewesen. Aber Marie lief nicht davon. Nach kurzer Zeit ließ sie die Schultern hängen und fing an zu weinen.
Ihre Tränen rührten ihn
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