Die Lerche fliegt im Morgengrauen
schlimmen Zeit, aber davor erhielt er ein Stipendium für die Royal Academy of Dramatic Art. Er blieb nur ein Jahr dort. Sie konnten ihm nichts beibringen. Er spielte ein oder zwei Rollen am National Theatre. Nichts Besonderes. Bedenken Sie, er war noch sehr jung. Dann, 1971, wurde sein Vater, der nach Belfast zurückgekehrt war, von einer engli schen Militärpatrouille getötet. Er geriet zwischen die Fronten. Es war ein Unglücksfall.«
»Und Dillon nahm es sich zu Herzen?«
»Das kann man wohl sagen. Er bot sich der Provisional IRA an. Er gefiel ihnen. Er war intelligent, hatte eine Begabung für Fremdsprachen. Sie schickten ihn für zwei Monate nach Libyen, in eins dieser Ausbildungslager für Terroristen. Ein Schnellkurs in Waffenkunde. Mehr war nicht nötig. Er wollte nie aussteigen. Gott weiß, wie viele er auf dem Gewissen hat.«
»Demnach arbeitet er noch immer für die IRA?«
Brosnan schüttelte den Kopf. »Schon seit Jahren nicht mehr. Er betrachtet sich zwar noch immer als Soldat, aber er findet, daß die Führung ein Haufen alter Weiber ist, und sie konnten ihn nicht im Zaum halten. Er hätte auch den Papst getötet, wenn er es für nötig erachtet hätte. Er machte sich einen Spaß daraus, Dinge zu tun, die nach hinten losgingen. Es heißt, er sei an der Mountbatten-Affäre beteiligt gewesen.«
»Und seit dieser Zeit?« fragte Hernu.
»Beirut, Palästina. Er hat eine ganze Menge für die PLO erledigt. Die meisten Terrorgruppen haben seine Dienste in Anspruch genommen.« Brosnan schüttelte den Kopf. »Sie werden es mit ihm ganz schön schwer haben.«
»Warum genau?«
»Zum Beispiel die Tatsache, daß er zwei Gauner wie die Joberts benutzt hat. Das tut er immer. Gut, diesmal hat es nicht geklappt, aber er kennt die Schwächen aller revolutionären Bewegungen. Sie bestehen meistens aus Hitzköpfen oder Angebern. Sie haben ihn den Mann ohne Gesicht genannt, und das stimmt, denn ich bezweifle, ob Sie jemals in einer Ihrer Akten ein Foto von ihm finden werden, und selbst wenn, dann würde Ihnen das auch nicht weiterhelfen.«
»Warum tut er das alles?« fragte Anne-Marie. »Doch sicher nicht aus irgendwelchen politischen Motiven.«
»Weil es ihm gefällt«, sagte Brosnan, »weil er besessen ist. Bedenke, daß er Schauspieler ist. Das ist er wirklich, und ein hervorragender dazu.«
»Ich gewinne allmählich den Eindruck, daß Sie für ihn nicht allzuviel übrig haben«, sagte Hernu.
»Nun, er hat mal vor langer Zeit versucht, mich und einen guten Freund von mir zu töten«, meinte Brosnan. »Beantwortet
das Ihre Frage?«
»Das ist sicherlich Grund genug.« Hernu erhob sich, und Savary folgte seinem Beispiel. »Wir müssen jetzt gehen. Ich muß alles so schnell wie möglich an Brigadier Ferguson übermitteln.«
»Schön«, sagte Brosnan.
»Ich hoffe, wir können in dieser Angelegenheit auf Ihre Hilfe zählen, Professor.«
Brosnan warf einen kurzen Blick auf Anne-Marie, deren Miene verschlossen war. »Hören Sie«, erwiderte er, »ich habe nichts dagegen, mich wieder mit Ihnen zu unterhalten, wenn Ihnen das weiterhilft, aber ich möchte in die Affäre nicht persönlich verwickelt werden. Sie wissen, wer und was ich war, Colonel. Egal, was geschieht, ich möchte nicht mehr dorthin zurück. Ich habe vor langer Zeit jemandem ein Ver sprechen gegeben.«
»Ich verstehe vollkommen, Professor.« Hernu sah zu AnneMarie. »Mademoiselle, es war mir ein ganz besonderes Ver gnügen.«
»Ich bringe Sie hinaus«, sagte sie und ging vor.
Als sie zurückkam, hatte Brosnan die Balkontür geöffnet und schaute hinaus auf den Fluß, während er eine Zigarette rauchte. Er legte einen Arm um ihre Schultern. »Alles in Ordnung?«
»O ja«, antwortete sie. »Bestens«, und lehnte den Kopf an seine Brust.
Zur gleichen Zeit saß Ferguson am Kamin seiner Wohnung am Cavendish Square, als das Telefon klingelte. Mary Tanner nahm den Anruf im Arbeitszimmer an. Nach einer Weile kam sie heraus. »Das war Downing Street. Der Premierminister wünscht Sie zu sehen.«
»Wann?«
»Jetzt, Sir.«
Ferguson stand auf und nahm seine Lesebrille ab. »Rufen Sie den Wagen. Sie kommen mit und warten dort auf mich.«
Sie griff nach dem Telefonhörer, sprach kurz, dann legte sie ihn wieder auf die Gabel. »Um was mag es gehen, Brigadier?«
»Keine Ahnung. Um meine sofortige Pensionierung oder um Ihre Rückkehr zu häuslicheren Aufgaben. Oder um diese Affäre in Frankreich. Mittlerweile dürfte er darüber informiert worden
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